Erdbeben in der Türkei und in Syrien

Bericht über die Folgen in der Region Gaziantep/Kahramanmaraş (Türkei)

von Ingo Schäfer


Reisebericht
Gaziantep/Kahramanmaraş (Türkei)
 
Montag, 6. März bis Dienstag, 7. März 2023
Anlaß: Erdbeben in der Region vom 6. Februar 2023
 
Im Innenausschuß des Deutschen Bundestages bin ich für die SPD-Bundestagsfraktion verantwortlich für die Themen Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe. In dieser Funktion war es mir ein Anliegen, mir vor Ort einen Eindruck vom schlimmen Erdbeben zu verschaffen, das am 6. Februar 2023 die Region großflächig zerstört hat. Meine ursprünglich vom 5. Bis zum 8. März 2023 geplante Reise habe ich auf den o.g. Zeitraum verkürzt, um den Aufwand vor Ort so gering wie möglich zu halten.
Während meines Aufenthaltes konnte ich in den Städten Gaziantep (rund 2,2 Mio. Einwohner; ca. 460.000 syrische Geflüchtete) und Kahramanmaraş (ca. 1,2 Mio. Einwohner; fast 100.000 syrische Geflüchtete) sowie der sie umgehenden Region eine Blick auf die Zerstörung werfen und mit den Hilfsorganisationen sprechen. Während Gaziantep relativ wenig zerstört wurde, waren im Epizentrum des Bebens Kahramanmaraş rund 1.000 Gebäude vollständig eingestürzt. Bis Mitte Februar wurden allein hier etwa 600 Tote bestätigt. Es gibt dort keine sicheren Ausweichquartiere, was aufgrund der zahlreichen Nachbeben in den Wochen nach dem 6. Februar 2023 dringend erforderlich war.
 

Informationen des Auswärtigen Amtes zufolge wurden bis Ende Februar mehr als 48.000 Tote und 120.000 Verletzte in der Türkei und Syrien gezählt. Betroffen sind auch deutsche Staatsangehörige. Aus Deutschland halfen in den ersten Tagen nach dem Beben Helferinnen und Helfer des THW und anderer deutscher Hilfsorganisationen (@fire, Humedica, I.S.A.R., Malteser International, Rotes Kreuz/Roter Halbmond) bei der Suche und Bergung der Opfer. Mittlerweile ist das THW nicht länger vor Ort. Deshalb reiste ich in Zusammenarbeit mit Malteser International (MI) in die Region.
MI hilft vor Ort noch immer zusammen mit Partnerorganisationen dabei, die obdachlosen Menschen (ca. 1,2 Mio) unterzubringen und zu versorgen. Im Vordergrund steht dabei, den Menschen eine Unterkunft zu geben, die sie vor der Winterwitterung (nachts Temperaturen um den Gefrierpunkt) schützt. Die meisten Menschen sind bislang in Zelten untergebracht. Diese werden mit Öfen geheizt, die mit Holz befeuert werden. Die Abgase dieser vielen Hundert Öfen sind in den Notlagern deutlich spürbar. Es droht ständig ein Brand dieser Zelte. Derzeit wird versucht, Container aus dem Ausland zu erwerben und für die Unterbringung der Opfer zu nutzen.


Die Hygiene ist einigermaßen sichergestellt, dürfte aber mit zunehmender Dauer der Notunterbringung deutlich schlechter werden. Es drohen Seuchen.
Für die Sicherheit in den Notlagern sorgt bislang das türkische Militär, das sich langsam zurückzieht.
Mir war es aufgrund der fehlenden staatlichen Strukturen und der Unsicherheit im syrischen Grenzgebiet unmöglich, mir einen Eindruck von der Lage auf der syrischen Seite der Grenze zu verschaffen. Bei einem Gespräch mit Medizinern der Hilfsorganisation „Hand in Hand“ wurde mir berichtet, daß ein durch den Bürgerkrieg in Syrien bestehendes Flüchtlingslager an der Grenze mittlerweile 350.000 Menschen umfasse. Das Lager bestehe seit zehn Jahren. Aufgrund des Erdbebens würden dort viele weitere Menschen Zuflucht suchen. Die Unterbringung und Versorgung auf syrischer Seite sei deutlich schwieriger als in der Türkei. Die Türkei habe ihre Hilfe für syrische Opfer verringert. Die Grenze sei für Hilfsorganisationen passierbar. Die Versorgung mehrerer Hunderttausend Menschen sei eine immense Herausforderung; technisches Gerät und Hilfspersonal fehle. Die dort lebenden Menschen fühlen sich allein gelassen. Die Suizidquote steige.


Die Lage der vielen betroffenen Kinder hat mich besonders berührt. Ich habe keine lachenden oder spielenden, ausgelassenen Kinder gesehen. Die traumatische Belastung der Überlebenden und insbesondere der Kinder wird lange Zeit eine große Herausforderung bleiben. Bei der internationalen Geberkonferenz am 16. März 2023 sollte dafür gesorgt werden, die psychosoziale Nachsorge insbesondere für die Kinder und jungen Menschen zu gewährleisten. Die Türkei und Syrien werden jahrelange internationale Hilfe für den Wiederaufbau und mögliche Umsiedlungen aus der Erdbebenregion benötigen. Dabei sollte darauf geachtet werden, daß die Finanzmittel dort ankommen, wo sie gebraucht werden.
 
Fotos Copyright: Ingo Schäfer sowie Katharina Kiecol und Oliver Hochedez für Malteser International