Cate Blanchett auf den Leib geschrieben

„Tár“ von Todd Field

von Renate Wagner

TÁR
USA 2022 

Drehbuch und Regie: Todd Field
Mit: Cate Blanchett, Nina Hoss, Mark Strong, Sophie Kauer u.a.
 
Da ist nun alles drin, was die Welt derzeit bewegt. Frauen in höchstrangigen Männerjobs. Gleichgeschlechtliche Beziehungen. Verhalten auch zu „Untergebenen“ nach Compliance-Regeln – wobei sich zu jedem Wort, das gesprochen wird, eine Aufzeichnung findet. Wie werden Karrieren gemacht – und wie zerstört? Wer von all den Gönnern hält im Zweifelsfall zu dir und wer wendet sich achselzuckend ab; nur nicht anstreifen, wenn es kritisch wird? Der Begriff „Cancel Culture“, der eine Unkultur ist, läuft wie Gift durch unsere Gesellschaft… Wir leben in unsicheren Zeiten, wo Monumente quasi in Sekundenschnelle stürzen können.
 
An der fiktiven Dirigentin Linda Tár läßt sich ein Schicksal von heute eindrucksvoll (und seltsamerweise trotz mehr als zweieinhalb Stunden Laufzeit nie zu lange) nachzeichnen. Man begegnet Tár strahlend selbstbewußt und souverän zuerst bei einem US-Fernsehinterview – sie wünscht als „Maestro“ angesprochen zu werden, Gendern interessiert sie nicht. Schon da merkt man an den Dialogen, daß es vor allem (wenn auch keineswegs ausschließlich) ein Film für Musikfachleute ist, die immer wissen, wovon gerade die Rede ist – Regisseur und Drehbuchautor Todd Field nimmt da keine Rücksicht darauf, ob er das Thema einem breiten Publikum gefällig macht. Er hat eine Geschichte zu erzählen.
Die Geschichte einer Frau, die es an die Spitze geschafft hat, und deren Leben vom Gipfel bis zum Untergang man mitgeht. Da passiert vieles – von den Proben zu Mahlers Fünfter mit den Berliner Philharmonikern, deren Chef sie ist, über die Szenen einer eingetrockneten Beziehung (mit der sehr traurigen Nina Hoss), über die nötigen Gespräche mit Geldgebern (Mark Strong) und Szenen, wo sie junge Musiker unterrichtet. Dumme Bemerkungen, daß man Bach als „weißen alten Mann“ und Frauenverächter nicht spielen sollte, kann sie nur vernichtend behandeln – sie wird es noch bereuen.
 
Ist einem Tár sympathisch? Nicht unbedingt, Auch nicht, wenn sie in der Berliner Schule ein kleines Mädchen, das ihre adoptierte farbige kleine Tochter schlecht behandelt, brutal bedroht (gut gemeint, man kann es ihr nicht verübeln). Und noch weniger, wenn klar wird, daß sie – immer im Stress zwischen außerordentlicher Selbstdarstellung und Machtausübung – ihr Amt doch des öfteren mißbraucht hat. Wie sie ihren Assistenten (Allan Corduner) absägt, weil er wagt, an diesem und jenem Zweifel zu hegen. Wenn eine junge Musikerin, die sie „gefördert“ und fallen gelassen hat, sich umbringt. Wenn eine andere junge russische Cellistin (Sophie Kauer), die ins Orchester kommt, sie sichtlich erotisiert und von ihr peinlich bevorzugt wird.
Wenn Tár als Maestro gestürzt ist, trifft es keine Unschuldige – und doch ist es ein Willkürakt, weil man weiß, daß andere Menschen mit Macht sich ähnlich verhalten und daß die „Opfer“, die vom Thron gestürzt werden, sehr bewußt gewählt sind, während andere schamlos davon kommen. Irgendwann wird am Beispiel von Schopenhauer die Frage aufgeworfen, ob seine persönlichen Fehler relevant für sein Werk sind?
 
So schillernd, wie Tár konzipiert ist, kommt sie in Gestalt von Cate Blanchett (der Todd Field sein Drehbuch auf den Leib geschrieben hat), zur Geltung. Bewundernswert, bedauernswert, faszinierend, stellenweise doch auch abstoßend. Glorios hochmütig im Glanz ihrer wie sie meint unantastbaren Stellung (wobei man sich doch immer wieder fragt, was hinter der Fassade steckt), fassungslos und unendlich wütend, als man ihr den Boden unter den Füßen wegzieht.
Der Film setzt sich aus vielen,  nicht immer zusammenhängenden Details zusammen, das Mosaik eines Lebens, dessen Schwierigkeit man sich kaum vorstellen kann (die Welt der Musik und der Musiker ist, wie Insider wissen, eine höchst komplexe Welt für sich), und es fallen auch – zweifellos bewußt – Phrasen, wie sie wohl erwartet werden: „Musik eine Sprache, eine geheimnisvolle und heilige, das, was dem Göttlichen am Nächsten ist…“
Wenn die fallen gelassene, abgetakelte Tár am Ende offenbar froh sein muß, bei irgendeiner Sekte dirigieren zu dürfen, hat eine Tragödie ihr Ende gefunden, die man aufgrund der vorgegebenen Fallhöhe im besten Sinn als „klassisch“ bezeichnen kann. Von den sechs „Oscar“-Nominierungen sollten sich einige verwirklichen, vor allem für die Hauptdarstellerin, die ihren vier mit-nominierten Kolleginnen haushoch überlegen ist.
 
 
Renate Wagner