Opposition in der Regierung

Die Wahl in Berlin hat Folgen für die FDP

von Lothar Leuschen​

Foto © Anna Schwartz
Opposition in der Regierung
 
Die Wahl in Berlin hat Folgen für die FDP
 
Von Lothar Leuschen​
 
Lieber nicht regieren, als schlecht regieren. Mit diesem Argument hatte FDP-Chef Christian Lindner vor gut sechs Jahren Gedankenspiele beendet, Angela Merkel zur ersten Kanzlerin einer Jamaika-Koalition zu machen. Damit war dieser Trumpf bereits ausgespielt, als SPD und Grüne im Herbst 2021 auf die FDP zugingen, um eine Ampelregierung zu bilden. Lindner glaubte offenbar, nicht wieder Nein sagen zu können. Wohl war ihm offensichtlich nicht dabei. Inzwischen weiß jeder, warum. Die FDP ist im Sinkflug. In den Umfragewerten nähern sich die Liberalen deutschlandweit langsam der Fünf-Prozent-Marke, und in Berlin haben sie diese Hürde am Sonntag gerissen. Das ist auch insofern bemerkenswert, als die Liberalen im Berliner Senat nicht mitregiert und deshalb die Fehler nicht auf dem Kerbholz haben, für die SPD, Grüne und Linke die Quittung bekamen. Mithin spricht einiges dafür, dass die Partei des Bundesfinanzministers Lindner für dessen Rolle in der Bundesregierung abgestraft worden ist. Dort spielen die Liberalen in Fragen von Energie, Mobilität und Bürgergeld die Rolle der Opposition.​
 
Mit genau diesem Spagat versucht Lindner als Parteichef vermutlich, das Schlimmste zu verhindern. Die Liberalen sollen nicht als Steigbügelhalter für linksgrüne Politik in die Annalen eingehen und erst recht nicht so zur nächsten Bundestagswahl im Herbst 2025 eintreten. Aber die Rechnung geht bisher nicht auf. Den Liberalen gelingt es kaum, ihr bürgerliches Profil im Kabinett von Bundeskanzler Olaf Scholz konstruktiv sichtbar zu machen. Stattdessen wird die FDP von den einen als Bremsklotz wahrgenommen, von den anderen als willige Helferin für Scholz, Heil, Habeck und Baerbock. Derzeit spricht einiges dafür, daß das in zweieinhalb Jahren nicht für fünf Prozent reichen wird. Eine Neuwahl der Bundesregierung können sich Lindner und die FDP angesichts der Stimmungslage derzeit aber auch nicht leisten. Also bleibt der Partei  nichts anderes übrig, als weiter die Opposition in der Regierung zu sein. Für die Ampel bedeutet das weiter wie bisher. Wie so die notwendigen großen Reformen und Infrastrukturprojekte ins Werk gesetzt werden sollen, bleibt indes ein Rätsel.​
 

Der Kommentar erschien am 14. Februar 2023 in der Westdeutschen Zeitung.
Übernahme des Textes mit freundlicher Erlaubnis des Autors.