Zurück zu den Sternen

Eine grandiose Gelsenkirchener "Aida" von Roland Schwab

Gelobt von Peter Bilsing
Dark Star- Zurück zu den Sternen
 
Grandiose „Aida“-Modernisierung in Gelsenkirchen
atemberaubend mitreißendes zeitgenössisches Musiktheater

Roland Schwab überzeugt mit Werktreue
 

Verdi ernst genommen

Endlich einmal ein Regisseur, der Verdis „Aida“ ernst nimmt. Was auf der Bühne stattfindet, ist in

Majken Bjerno, Chor - Foto © MiR / P. Malinowski
jeder Hinsicht textgetreu, für mich sogar absolut werkgetreu. Regisseur Roland Schwab und sein kongenialer Bühnenbildner Hans-Dieter Schaal „beamen“ uns in eine zukünftige, oder einstige (Däniken läßt ein wenig grüßen!) Welt fern aller Exotik und bar jeder Folkloristik. Es ist eine düstere, böse Welt, in der die Farbe Grün fehlt. Eine Welt, die nur der Gedanke an die Unterdrückung Andersdenkender und deren Bekriegung absolutistisch zusammenhält. Hier ist kein Platz für Gefühle oder Humanismus; für Liebe schon gar nicht.
 
Der Regent ist nichts weiter als farblose Marionette des Oberpriesters Ramphis, welcher alle Fäden zieht und auf dieser dunklen Seite der Welt (Ist es überhaupt unsere Welt ?) scheinbar alles im Griff hat. Ein Planet des Bösen, so könnte man auch vermuten, wo nicht nur der Lebensraum, sondern auch die Luft eng wird. Die (Über-)Lebenden sind blutleere Figuren, die einzig dazu dienen, ihren Alteregos in Form geklonter Kampfmaschinen eben jenes Blut zu transferieren, das dann im Krieg nutzlos vergossen wird. Ein Szenario, das viele dunkle Elemente aus Filmen, wie „Dune“, „1984“ oder „Star Wars“ reflektiert, aber auch philosophische Gedanken im Sinne von Kubricks „2001“ touchiert. All das ist bildgewaltig und mit großer Qualität in Szene gesetzt und überzeugt nachhaltig.
 
Herzklopfen bei "Frieden erfleh ich..."


Transfusion  -  Ricardo Tamura, Chor - Foto © MiR / P. Malinowski
Die Bühne prägt ein riesiges rundes, den Bühnenraum umfassendes Fenster (später mutiert es zu einer Art „Stargate“), welches den Blickwinkel in verschiedenen Horizonte und Ebenen ermöglicht; Schlachtfelder, Aquarien, Sternenhimmel. In Zusammenarbeit mit einer perfekten Lichtregie (Patrick Fuchs) entstehen surreale Bildwelten von irisierender Schönheit und traumatischer Düsternis; manches geradezu kafkaesk irritierend. Die Personenregie wirkt etwas starr, denn es wird viel Robert Wilson zitiert. Vielleicht sind auch manche Sänger noch etwas regieresistent.
 
Doch wenn am Ende Aida singt „Frieden erfleh ich für Dich Geliebter, Isis öffnet Dir versöhnt den Himmel“, dann öffnet sich unser Sternentor und die Königstochter schreitet stolz hinaus in die dunkle Unendlichkeit, erleuchtet von den Sternen irgend einer Milchstraße in der gerade prachtvoll eine Supernova verglüht, während an der Seite Ramphis (nun als Todesgott) locker einen Jojo in Form unserer Erde spielerisch auf- und niedersausen läßt. – Ein phänomenales, atemberaubendes Schlußbild! Und wie nah stehen sich hier Verdi und Wagner, den man zitieren möchte „In dem wogenden Schwall, in dem tönenden Schall, in des Welt-Atems wehendem All - ertrinken, versinken.“
 
Puh! Das sind die Momente, derentwegen man in die Oper geht, in denen das Herz bis hinauf zum Halse schlägt….
 
Gesangskultur nicht nur bei Tamura

Neben dieser wirklich begnadeten Regiearbeit steht eine künstlerische Leistung, die sich hören

Horror  -  Majken Bjerno - Foto © MiR / P. Malinowski
lassen kann. Wo nimmt das Haus solche Stimmen her, wie Majken Bjerno, einer anrührend schönen Aida – was für ein Stimme und was für eine Gesangskultur. Und auf einen Tenor, wie den jungen Ricardo Tamura (Radames) muß sogar die Wiener Staatsoper neidisch sein, denn seine blitzsauberen und nicht gestemmten hohen "C" lassen noch ganz Großes erwarten. Michael Tews ist ein überzeugender Ramphis und die bewährte Anna Agathonos reüssiert mit der schwierigen Partie der Amneris durchdacht und intelligent. Björn Waag ist ein wunderbar singender aber optisch viel zu junger Amonasro. Bewundernswert sowohl in Darstellung als auch Gesang, wie immer der Chor unter Christian Jeub. Und was für ein Glück, daß uns der Meisterdirigent Samuel Bächli erhalten geblieben ist. Eine schönere und einfühlsamere Aida-Interpretation habe ich selten gehört; auch und insbesondere, weil es endlich einmal ein Dirigent schafft, dieses fürchterliche und eigentlich völlig werkfremde Zirkusstück von „Triumphmarsch“ nicht in stampfender Militärmarotte, sondern wohl differenziert zwischen Bühnenmusik und Orchestergraben, als stilvoll zurückhaltendes Orchestergemälde in all seiner Vielfalt zu musizieren. Danke!
 
Bravo auch der Ausstattung


Auf in den Kampf!  -  Anna Agathonos - Ricardo Tamura - Majken Bjerno
Foto ©
MiR / P. Malinowski
Ein Extralob verdient Renée Listerdahl nicht nur für die ungeheure Kostümvielfalt, sondern auch für die filigrane und detailreiche Gestaltung der bis ins Kleinste ausziselierten Accessoires; mutig und kühn zugleich bei allen augenzwinkernden Filmzitaten.
Ein wirklich in jeder Beziehung großartiger Abend perfekten Musiktheaters. (wegen des tollen Tenors auch ein Muß für Pavarotti-Fans!) Mit dieser wunderbaren, höchst modernen und dennoch werktreuen „Aida“ läßt das Musiktheater im Revier doppelt so große Nachbar-Häuser wie z. B. Düsseldorf, Essen oder Köln mächtig blaß aussehen - sowohl im gesanglichem Bereich, als auch auf dem Sektor intelligenter Regiearbeit und prachtvoller Bühnenbilder. Schön, daß es noch Regisseure gibt, die sich ernsthaft und mit positiver Hingabe einem Kunst-Werk widmen. Traumvollendet die Bilder, teilweise Weltklassegesang und eine gesamtmusikalische Leistung, die ihresgleichen sucht. Mein "Bravo" auf allen Ebenen und 5 weit leuchtende Sterne des Opernfreundes!
 
Kleiner Nachtrag:
Folklore-Freunde, Zoologen, Schrebergarten-Idylliker, Altsprachler, Tutanchamun-Fans und Traumschiff-Reisende buhten in menschlich verständlicher Erregung wegen des Mangels an veritablen Elefanten, Kamelen, Eulen, Wüstenfüchsen und anderem Viehzeug. Zu Recht, denn es gab für die Enttäuschten auch keine Gips-Säulen oder Pappmaché-Pyramiden... nicht einmal eine ganz kleine!

Redaktion: Frank Becker