Über Reste

von Erwin Grosche

Foto © Bernd Mueller
Über Reste
 
Oft fragt man sich, was macht man mit dem Rest? Zwiebeln sind oft zu groß, um sie vollständig in einem Salat zu verwenden. Man schneidet nur so viel von ihnen ab, wie man für den Beilagensalat braucht. Was macht man mit dem Rest? Natürlich gibt es Frischhalteboxen, in denen man die Reste lagern kann, aber irgendwann muß man sich trotzdem wieder die Fragen stellen. Was macht man mit dem Rest? Der Rest hat keinen guten Ruf. Was vorher uns als Ganzes inspirierte, wirkt nun als Rest unvollständig und unnütz. Wenn man Glück hat, landet er auf einer Pizza mit dem Namen „Allerlei“ und wird so noch zu etwas Gutem genutzt. Verlangt es nicht das Gesetz der Menschlichkeit, daß man sich auch um den Rest kümmert?

       Früher hatte man manchmal einen 20er Film und konnte am Ende des Urlaubs auf eine Auslastung von 18 Fotos schauen. Natürlich will man den Film im Ganzen nutzen und fragt sich mit Blick auf die zwei restlichen Fotos, was macht man mit dem Rest? Eines der berühmtesten Restefotos ist sicherlich das Motiv der New Yorker Bauarbeiter, die auf einem Balken hoch oben über der Stadt Mittag essen. Das Foto wurde geschossen, um einen Film ganz voll zu bekommen. Auch Fotograf Arthur Sasse fing auf einem Restefoto die Reaktion des Physikers Albert Einstein ein, als er an der Feier seines 72. Geburtstags den versammelten Fotografen die Zunge rausstreckte. Das macht man mit dem Rest. Man macht das Beste raus. Ich frage mich oft ob Gott, als er die Geschöpfe der Erde geplant hat, die Ideen, die er nicht beim Elefanten oder bei der Ameise unterbringen konnte, auf die Gestaltung des Menschen verwandte. So wurden wir geschaffen aus Resten. Auch Krieg, Zerstörung und Unwetter hinterlassen manchmal Reste, die aufrütteln und an das ursprüngliche Leben erinnern. Sie sind Denkmale einer anderen Ordnung, eines anderen Friedens und einer anderen Güte. Kann man nun die Reste nehmen und daraus etwas schaffen, das den Respekt der Menschen gegenüber den Abfällen seines Lebens verdeutlicht? Wie vollkommen waren die Wollbettwürste, die meine Mama aus den Ärmeln des alten Pullovers meines Papas gemacht hatte. Man schob sie sich unten den Kopf und konnte in den Himmel schauen und an meinen armen Papa denken. Aus den Resten der zerbombten Stadt Paderborn wurden am Rand der City eine Freizeitanlage und der Monte Scherbelino geschaffen.

       Die Erde ist in keinem guten Zustand. Sie ist selbst zum Rest geworden. Zum Rest einer gescheiterten Lebensart. Was machen wir mit dem Rest an Zeit, der uns noch bleibt? Ich bin da guter Hoffnung. Man kann mit aller Liebe und allem guten Willen aus jedem Rest etwas Neues, Unerwartetes und Großartiges schaffen.
 
Erwin Grosche, Weltenlauscher 2023

Erwin Grosches Web-Seite: www.erwingrosche.de