Die Parabel des Verlassenen

„Der Fuchs“ von Adrian Goiginger

von Renate Wagner

Der Fuchs
Österreich 2022

Drehbuch und Regie: Adrian Goiginger
Mit: Simon Morzé, Karl Markovics u.a.
 
Die letzte „wahre Geschichte“, die Regisseur Adrian Goiginger verfilmt hat, hieß „Märzengrund“ und scheiterte daran, daß Drehbuchautor Felix Mitterer nicht plastisch machen konnte, was im Innenleben seiner Aussteigerfigur vorging. Nun hat Goiginger, Salzburger, Anfang 30, sich eine andere „wahre Geschichte“ vorgenommen, die ihm näher lag, denn sie ist seinem Großvater passiert. Und „Der Fuchs“ ist eine starke, ergreifende Geschichte geworden, die viel von menschlichem Leid erzählt – und davon, wie man versuchen kann, sich selbst zu helfen.
Es ist der Anfang des Geschehens, der uns so besonders tragisch berührt: Daß die Salzburger Bergbauern in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts so arm waren, daß sie fürchten mußten, daß ihre Kinder verhungern würden. Damals gab es eine schreckliche, offenbar weit verbreitete Sitte, Kinder einfach wegzugeben – nicht zu verkaufen, aber doch in eine Art Sklaverei bei reichen Bauern zu schicken. Für Kost und Quartier mußten sie schuften. Aber sie überlebten.
 
Wie es einem Achtjährigen das Herz zerreißt, wenn er weggegeben wird, das steht am Anfang von Franz Streitbergers Geschichte. Wie kann er begreifen, daß es dem Vater (Karl Markovics) unsagbar schwer fällt, ihn dem brutalen reichen Bauern (Cornelius Obonya) zu geben, der ihn wie ein Stück Vieh über die Schulter wirft; wie kann er akzeptieren, daß der Vater in den nächsten zehn Jahren nicht einmal zu ihm kommt (um für ihn nicht alles noch schwerer zu machen) – das Gefühl des Verlassenwordenseins, des Ausgesetztseins, der daraus lebenslang resultierenden Unsicherheit ist elementar.
Sobald er 18 war, hat Franz Steinberger (Simon Morzé) den Hof, wo er überlebte, verlassen. Was nun folgt, führt zur Geschichte des titelgebenden „Fuchses“, und auch da folgt der Regisseur und Drehbuchautor der Geschichte des Großvaters. Dabei verzerrt er nichts negativ dramatisch, um das Lob der politisch Korrekten zu erlangen. In Salzburg 1927 zum Bundesheer zu gehen, bot eine Art von Geborgenheit und Kameradschaft, die nicht negativ gefärbt wird, ohne daß die elementare Einsamkeit von Franz aufgehoben worden wäre. Auch als er dann umweglos ein paar Jahre später bei der Deutschen Wehrmacht landet, winkt der Regisseur nicht mit dem moralischen Zeigefinger. Kriegsalltag, der nicht immer in Kampf besteht, sondern im Warten, die Tätigkeit als Meldekurier, die Aufputschmittel, die man nimmt. Der Brief an den Vater, den er nun doch schreiben würde, aber nicht abschickt.
 
Es gibt nicht viel äußere Handlung, wenn die Soldaten in Frankreich an der Westfront liegen, irgendwo am Land, und der Soldat im Wald den kleinen Fuchs findet. Mensch und Tier ist bekanntlich eine elementare Beziehung, und das Gefühl des Stärkeren (des Menschen) einen Schwächeren (das kleine Tier) beschützen zu wollen, wird wohl jeder nachvollziehen können. Wenn Franz immer wieder in den Wald geht, um den Fuchs zu sehen, decken ihn die Kameraden, und als der Fuchs als Hühnerdieb am französischen Bauernhof erwischt wird, gibt es für den jungen deutschen Soldaten, der alles andere als ein böser „Hunne“ ist, eine kurze Beziehung zu einer jungen Französin. Romantisch, nicht unglaubhaft, nicht kitschig.
Dann eines Tages muß er weg, von dem Mädchen und von dem Tier. Als die Einheit abzieht, gibt es keine Möglichkeit, den Fuchs mitzunehmen. Es ist eine der dramatischsten Szenen des Films, wenn der Fuchs, den er aussetzen wollte (so, wie er einst weggegeben wurde, weshalb es besonders schwer ist), auf einmal da ist, hinter dem Lastwagen herläuft, Franz hinausspringen will – und sein Freund ihn gerade noch fest hält… „Es tut mir leid!“ kann er seinem Fuchs nur zurufen.
 
Als er nach dem Krieg heimkehrt, liegt im Bauernhof des Vaters dessen Partezettel am Tisch und der Brief, den Franz ihm geschrieben und den seine französische Freundin abgeschickt hat. Der echte Großvater erscheint am Schluß wie in amerikanischen Filmen, wo bei „wahren“ Geschichten am Ende dokumentarisches Material gezeigt wird. „Ganz mir hat er gehört“, erinnert sich der alte Mann an den Fuchs.
Es ist die Parabel des Verlassenen, die da erzählt wird, der Versuch, an einem Tier gutzumachen, was ihm selbst angetan wurde, und die Erkenntnis, daß das Leben Zwänge hat, die stärker sind als der menschliche Wille. Eine schlichte Erkenntnis, schlicht erzählt.
 
 
Renate Wagner