Locher

von Erwin Grosche

Foto © Frank Becker

Locher
 
Wie schafft es ein Locher, daß er sich trotz seines bizarren Aussehens unseren Blicken entziehen kann? Er ist das Kleingedruckte, das man nicht liest. Ein Chamäleon, das sich nur hervorhebt, wenn es den Bürotisch verläßt. Was ist unsinniger als zwei Löcher in ein Papier zu lochen? Muß man selbst die Verordnung zum Abheften von Papieren abheften? Der Locher müßte mit zwei O`s geschrieben werden, aber Humor ist bei einem Büroartikel nicht sinnstiftend. Ist ein Lineal lustig? Versteht ein Anspitzer Spaß? Ich denke manchmal, daß ein Locher das ist, was die Astronauten auf dem Mond gefunden hätten, wenn sie besser nachgeschaut hätten. Manchmal entdeckt man neben Tesafilm, Stempelkissen, Löschpapier und Tintenpatronen einen Locher und fragt sich, „wofür war er noch mal da?“ Bevor sich da eine Antwort findet, ist der Büroalltag selbst ein Loch, das man abheften muß. Der Locher ist zu groß, um in der Krimkramsschublade zu enden und zu unbedeutend, um an einem allgemein vorgesehenen Ort auf seinen Einsatz zu warten. Er wirkt wie eine Attrappe für eine neue Konzerthalle, die ein Stararchitekt zu Anschauungszwecken zusammengeklebt hat. Nutzen ihn Kontrabassisten als Handmuskeltrainer? Brauchen ihn Dominas um ihre Liebesdienste zu verfeinern? Ist er Kunst? Dient er Robotern als Kastagnetten-Ersatz? Manchmal schaut man auf einen Locher und befürchtet, „gleich springt er mir ins Gesicht“. Besser man weiß nicht, zu was er gut ist. Er erschafft das Nichts. Ein kreisrundes Nichts. Lochen macht Spaß, aber Nicht-lochen auch. Ungehemmtes Lochen kann ein Kündigungsgrund sein. Was sollen die Löcher im Gummibaum? Wenn man die kreisrunden Papierschnitzel aus dem Locherauffangbehälter aus dem Fenster eines Hauses auf die vorbeihuschenden Passanten fallen läßt, regnet es Beamtenschweiß. Vielleicht sind unsere Erde und alle anderen Planeten des Universums nur Schnipsel eines gigantischen Lochers, der uns als Konfetti ins Nichts geschleudert hat. Machen wir uns nichts vor: Alles was Löcher hat, kann man abheften. Vielleicht ist ein Leitz-Ordner das bessere Zuhause. Wer im Leben kein Heim findet, hat immer einen Platz frei in der Bürokratie. Aus dem Fenster schauen kann man überall. „Laß doch sein das Rumgestocher, nutze lieber deinen Locher. Kocht zu Haus der Wasserkocher, loche lieber mit dem Locher. Auch privat hat Olli Pocher stets zum Lochen einen Locher.“
(„Die Stahlstifte, welche die Löcher in das Papier stanzen, bezeichnet man als Lochpfeifen. Ein Locher (oder Perforator) ist ein Hilfsmittel, um in einem definierten Abstand Löcher in den Rand von Papierbögen zu stanzen. Zweck der Löcher ist das Abheften des Papiers in einen Aktenordner, Schnellhefter oder Terminplaner. Der erste separate Handperforator („Phoenix“) wurde 1901 von der Stuttgarter Firma Leitz verkauft, die zuvor bereits den nach ihr benannten Leitz-Ordner erfunden hatte.“ frei nach Wikipedia)
 
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