Der eine lacht, der andere tötet

Rigoletto zurück in Wuppertal

von Johannes Vesper

Foto © Wil van Iersel


„Der eine lacht, der andere tötet“
 
Rigoletto zurück in Wuppertal:
Premiere der Wiederaufnahme am 08.01.2023 im Barmer Opernhaus
 
Von Johannes Vesper
 
Als der Enddreißiger Giuseppe Verdi „Rigoletto“ komponierte, lag seine familiäre Katastrophe schon knapp zehn Jahre zurück. Innerhalb von zwei Jahren (1838-1840) waren Tochter und Sohn im zartesten Kindesalter und im Juni 1840 seine junge Frau Margherita an einer Hirnhautentzündung verstorben. Welche eine Lebenserfahrung ist in diese Oper eingeflossen!
Hier verliebt sich der Herzog von Mantua beim Kirchgang in die schöne Gilda, Tochter seines Hofnarren Rigoletto. Der, wegen seines beißenden Spottes beim ganzen Hof verhaßt, hatte sich einen verheerenden Fluch des Grafen Monterone zugezogen, dessen Tochter dem herzoglichen Schürzenjäger zum Opfer gefallen war. Und Gilda verliebt sich in diesen Gigolo, der sich als mittelloser Student in ihr Herz geschlichen hatte. Bei dramatischen nächtlichen Verwechslungen wird sie zuletzt mit Hilfe des eigenen getäuschten, überlisteten Vaters getötet.
Die literarische Vorlage stammt von Victor Hugo. Wegen der Zensur in Frankreich wurde das Stück nach Italien verlegt, wo diese Thematik anscheinend weniger Aufregung verursacht. Francesco Maria Piave, der für Verdi schon „Macbeth“ bearbeitet hatte, schrieb die Textvorlage für die Oper, die 1851 in Venedig uraufgeführt wurde.
 
Die Neuaufnahme der spannenden Inszenierung von 2016/17 übernahm wieder Timofey Kulyabin, der damit damals seine erste Inszenierung außerhalb Rußlands gezeigt hatte. Da hatte er schon mit dem Bühnenbildner und den Dramaturgen in mehr als 100 Produktionen u.a. in Moskau, St. Petersburg, Novosibirsk zusammengearbeitet. Passend zur Herkunft des Teams spielt das Werk jetzt in dem fiktiven totalitären Staat „Mantua“ in Osteuropa, wo eine korrupte Regierungsclique herrscht. Der Herzog mutiert zum Diktator, und Rigoletto ohne Buckel zu einem wirkmächtigen Fernsehmoderator. Das Regiekonzept entfaltet eine bedrückende Aktualität, wurde in Moskau doch unter unklaren Umständen die Tochter des prominenten Ideologen Dugin umgebracht wie Gilda in Mantua. „Ich will einen aktuellen Bericht über das Leben und die Menschen um mich herum“, wird er im Programm zitiert. Das ist ihm mit der „enormen, fesselnden theatralischen Kraft der Musik Verdis“ in Wuppertal wirklich gelungen. Ursprüngliche wegen seines skandalösen „Tannhäusers“ in Nowosibirsk entlassen, kann er derzeit nicht mehr nach Rußland zurück, wo seine Familie lebt.
Das Bühnenbild, dunkel holzgetäfelter Vorstandssaal der Parteizentrale mit Nebenraum, war horizontal zweigeteilt: oben wurde durch Videofilme das Geschehen zusätzlich ergänzt, die Orientierung durch Übertitel erleichtert. „Kurz vor Beginn der Handlung endet ein regulärer Wahlkampf“, war anfänglich dort zu lesen. 
 
Musikalisch leitete jetzt GMD Patrick Hahn diese Produktion, seine vierte hier. Die Ouvertüre entwickelte klanggewaltig und musikalisch das charakteristische Leitthema des Fluches: Punktierte Blechbläser-Fanfaren über Pauken. Zunächst verfolgen die Genossen im Fernsehen nach der Wahl die politischen Reaktionen ihres Vorsitzenden, der derweil, kokainschnupfend, im Nachbarzimmer die Gräfin von Ceprano vergewaltigt. Stimmlich sang Sangmin Jeon (Ensemble), spielerisch ein Macho der Sonderklasse, seine Rolle souverän mit strahlendem Tenor auch in höchsten Höhen. Sehr wenige kleine Unsauberkeiten störten da nicht. Mit Monterones Fluch gegen Rigoletto (ernst und stimmstark: Yisae Choi (Opernstudio NRW), der ihn verhöhnt hat, nimmt das Drama seinen Lauf, und man erlebt wie die Partei Existenzen vernichtet. Im 2. Akt (Krankenzimmer einer Heilanstalt) dringt der Macho in das Krankenzimmer Gildas (Ralitsa Ralinova) ein, wo ihr Verhalten an eine Borderline-Störung denken läßt. Bezirzt von Machos stürmischen Liebeserklärungen im ¾ Takt, verliebt sie sich in ihn, hält ihn für einen mittellosen Studenten. Die höchst anspruchsvollen Arien und Duette des Paares wurden eindrucksvoll und subtil musiziert (sehr schöne Cello- und Flöten-Soli, später auch die Oboe solistisch bemerkenswert). Das Publikum lauschte atemlos. Dann war aber die Besuchszeit auf der Bühne abgelaufen. Nach ihrer anrührenden Arie („Gualtier Maldé. Teuer Name der mein Herz berührte“…) gab es Szenenapplaus, nicht zum letzten Mal. Inzwischen war die weißmaskierte Parteiclique eingedrungen, traf dort auf Rigoletto, schlug ihn nieder und entführte mit Gewalt Gilda.


Foto © Wil van Iersel

Die starken Männerchöre beeindruckten durch Sauberkeit der Intonation und Exaktheit der Stimmführung. Rigoletto trifft auf die in den Palast verschleppte Tochter. Sie gesteht ihm, sich in dünnem Kleidchen lasziv auf dem Boden wälzend, spielerisch wie sängerisch erneut exzellent, ihre Liebe zum Diktator-Macho. Zuletzt jagt musikalisch ein Höhepunkt den nächsten. „Oh wie so trügerisch...“ singt der Macho und im Quartett (Rigoletto, Gilda, Herzog und Maddalena ( Schwester des Auftragsmörders) vielleicht musikalischer Höhepunkt des Abends, singen alle vier stimmlich ausdrucksvoll und sauber ihre unterschiedlichen Charaktere voll aus. Existentiell bedrohlich wird es, wenn unheimliche Orchesterakkorde, Piccoloflöte und ein chromatischer unsichtbarer Männerchor zu flackernder Palastbeleuchtung führen, wahrhaft kritische Infrastruktur auf der Opernbühne. Inzwischen bereiten Sparafucile und seine Schwester (bewährt und souverän Sebastian Campione und Iris Marie Sojer) den von Rigoletto beauftragten Auftragsmord am Macho vor, dessen an Harvey Weinstein erinnernde Aufdringlichkeit sich Maddalena zuvor auch emotional nicht entziehen kann. #MeeToo hätte damals schon gegründet werden müssen. Sie überredet ihren Bruder unter Hinweis auf das bereits bezahlte Honorar den Mann den sie liebt nicht umzubringen. Um Mitternacht bietet sich ihm die unkontrolliert verliebte Gilda als Mordopfer an. Rigoletto findet sie halbtot in einem Plastikmüllsack. Merkwürdig ihre unwillkürlich einschießenden Muskelzuckungen. Ist ihre Liebe pathologisch? Jedenfalls erkennt Rigoletto, daß er dem Fluch des Monterone nicht entkommen ist.
 

Foto © Wil van Iersel

Für diese Rolle war der italienische Bariton Vittorio Vitelli verpflichtet worden, der auf vielen großen Bühnen Europas von Neapel, Madrid, der Scala und der Deutschen Oper Berlin, um nur einige zu nennen, mit großen Erfolgen aufgetreten ist. Hier war er jedoch durch einen Erkältungsinfekt schwer beeinträchtigt und konnte noch bei der Generalprobe überhaupt nicht singen. Rigoletto hielt durch spielte glänzend, aber einer Stimme fehlte doch Kern und Kraft. Seine für den Fall der Fälle im Saal sitzende Vertretung wurde nicht gebraucht. Das Publikum applaudierte allen begeistert, überschwenglich Ralitsa Ralinova, Sangmin Jeon und Patrick Hahn. Der Regisseur und sein Team waren zum Schlußapplaus nicht erschienen.
 
Weitere Termine der sehr sehenswerten Inszenierung: : Do. 12. Januar 2023, 19:30 Uhr, Opernhaus. So. 5. Februar 2023, 18 Uhr, Opernhaus. Sa. 18. Februar 2023, 19:30 Uhr, Opernhaus
 
Musikalische Leitung: Patrick Hahn - Inszenierung: Timofey Kulyabin - Bühne: Oleg Golovko - Kostüme: Galya Solodovnikova - Choreinstudierung: Ulrich Zippelius - Dramaturgie: Olga Fedianina, Marie-Philine Pippert
Besetzung: Herzog von Mantua: Sangmin Jeon - Rigoletto: Vittorio Vitelli - Gilda: Ralitsa Ralinova - Graf von Monterone: Yisae Choi - Graf von Ceprano: Oliver Picker - Marullo: Simon Stricker - Borsa: Mark Bowman-Hester - Sparafucile: Sebastian Campione - Maddalena: Iris Marie Sojer - Sinfonieorchester Wuppertal Opernchor der Wuppertaler Bühnen - Statisterie der Wuppertaler Bühnen
 
Weitere Informationen: www.wuppertaler-buehnen.de