Den Menschen so fern

Der unnahbare Past Benedikt XVI. ist tot

von Lothar Leuschen

Foto © Anna Schwartz
Den Menschen so fern
 
Der unnahbare Past Benedikt XVI. ist tot
 
Von Lothar Leuschen
 
Einem Verstorbenen Schlechtes nachzusagen, geziemt sich eigentlich nicht. Das sollte auch für Joseph Ratzinger aus Marktl in Bayern gelten. Und dessen Handeln im Leben bliebe vermutlich auch weitestgehend unbewertet, wäre dieser Joseph Ratzinger aus Deutschland im Jahre 2005 nicht zum Papst gewählt worden, hätte er fortan nicht als Benedikt XVI. Augen und Ohren von weltweit etwa 1,4 Milliarden Katholiken auf sich gezogen. Benedikt XVI. ist tot. Er starb am Samstag im biblischen Alter von 95 Jahren in einem Kloster im Vatikan. Und die Reaktionen auf sein Ableben zeigen, wie unterschiedlich die Perspektiven auf einen Menschen sein können, gerade auch dann, wenn er ein Papst war, obendrein der erste deutsche seit fast 500 Jahren.
 
Von Beginn seines Pontifikates an war es leicht, sich an Papst Benedikt XVI. zu reiben. Der deutsche Kirchengelehrte, der weltweit renommierte Religionswissenschaftler war zu keiner Sekunde ein Papst der Herzen. Auch wenn der Boulevard in Deutschland die Wahl Ratzingers als nationalen Erfolg überhöhte, die Menschen hat Benedikt nie erreicht, zumindest in Deutschland nicht. Dort steckt die katholische Kirche bei weitem nicht nur, aber sicher auch wegen des ehemaligen Kardinals Joseph Ratzinger, des langjährigen Präfekten der Glaubenskongregation im Vatikan, des 2013 aus Gesundheitsgründen zurückgetretenen Papstes. Denn der Deutsche an der Spitze der katholischen Kirche war im Kern reformfeindlich, sein Umgang mit dem Kindesmißbrauch in seiner Kirche war, gelinde gesagt, kühl. Und auch als Benedikt XVI. hat Joseph Ratzinger seinen organisierten Glaubensbrüdern und -schwestern in Deutschland keinen Rettungsanker zugeworfen. Das ist die deutsche Sicht auf den deutschen Papst.
 
In anderen Teilen der katholischen Welt wird Benedikt XVI. gerade wegen seiner Treue zu Positionen in Fragen wie Zölibat, Ordination von Frauen oder gar Verhütung verehrt. So zeigt sich auch am Tag des Todes von Papst Benedikt XVI. die Zerrissenheit seiner Kirche.
 

Der Kommentar erschien am 2. Januar 2023 in der Westdeutschen Zeitung.
Übernahme des Textes mit freundlicher Erlaubnis des Autors.