Von der Kultur des Bahnreisens

Guido Fuchs – „In der Bahnhofsgaststätte. Ein literarisches Menü in zwölf Gängen“

von Frank Becker

Von der Kultur des Bahnreisens
und seiner Restaurants
 
… als to go noch ein Fremdwort war
 
Sie waren Oasen in der Weite des Reisens, als das Reisen noch Kultur hatte, Orte des Aufbruchs, der Ankunft, des Verweilens und des Abschieds – Bahnhofsgaststätten. Wenn ich heute die Augen schließe und an die durch die Zeit und den Tabakrauch gedunkelten Paneele und die weiß gedeckten Tische der Vergangenheit denke, an die höflichen Kellner in schwarzen Anzügen und gestärkten Hemden und an die Speisekarten, die Gulasch und Tafelspitz, Bouillon mit Eierstich oder schmackhafte Eintöpfe anboten, wird mir schon ein wenig wehmütig. Denn im Wesentlichen sind diese Tempel der Einkehr und des Verschnaufens bei ordentlichem Filterkaffee verschwunden, mußten Fast-Food-Ketten, Bäckereien mit belegten Brötchen und Kaffee zum Mitnehmen (to go sagt man) in Pappbechern weichen. Es gibt sie nur noch vereinzelt, dieses Oasen, in denen man die Zeit bis zur Abfahrt des Zuges bei einem Getränk lesend oder nach der Ankunft auf einen Abholer in gemütlicher Atmosphäre wartend verbringen konnte. Münchens Hauptbahnhof hat noch eine, in der ich oft und gerne auf Reisegefährten nach dem Süden gewartet habe.

Guido Fuchs hat die umfangreiche Geschichte der Bahnhöfe und Bahnlinien nebst den zugehörigen Gaststätten und des in ihnen Gebotenen anhand der Literatur von den Anfängen im frühen 19. Jahrhundert an bis heute mit wahrhaft ergiebigen Ergebnissen untersucht und die erstaunlich reichhaltigen Fundstellen zu einer kundig kommentierten wunderbaren  Anthologie zusammengestellt: „In der Bahnhofsgaststätte“.
Jeder Bahnhof, selbst der im provinziellen Wipperfürth, hatte früher eine Bahnhofsgaststätte, manchmal gab es auch mehrere, in Klassen unterteilt. Es gab legendäre Speisekathedralen darunter wie auch kleine Schankstüberl, in denen sich gemütlich sitzen ließ. Viele wurden in den letzten 50 Jahren Zug um Zug abgerissen, umgebaut, wichen der erwähnten to-go-Hektik von Schnellrestaurants oder „Snackpoints“. – Doch in der Literatur leben sie als Erinnerung fort. Bahnhofsrestaurants, -buffets und -cafés werden in allen literarischen Traditionen als Orte kulinarischen Genusses (oder warnend des Gegenteils) beschrieben – aber auch der frohen Begegnungen und traurigen Trennungen, der heimatlichen Sehnsüchte und heimlichen Fluchten, als Orte vieler kleiner Begebenheiten und besonderer Ereignisse, die man heute, da man mit dem Coffee-to-go durch die Bahnhofshalle stürmt, kaum noch erleben kann. Guido Fuchs hat sie in Romanen, Biographien, Büchern mit Reiseerinnerungen aufgesucht und lädt seine Leser zu einer faszinierenden literarischen Weltreise mit Aufenthalten ein, einem höchst unterhaltsamen, literarisch-kulinarischen Menü in zwölf Gängen, will sagen zwölf Kapiteln ein.
 
Mit Texten Heinrich Böll, Hans Fallada, Gertrud Fussenegger, Günter Grass, Dieter Zimmer, Gerhart Hauptmann, Trude Marzik, Herta Müller, Max Eyth, Walter Kempowski, Sten Nadolny, Joseph Roth, Harry Graf Kessler, Jules Verne, Ben Witter, Paul Goldmann, Armin T. Wegner, Cosima Wagner, Franz Hohler, Peter Rosegger, Alfred Polgar, Stefan Zweig, Lew Tolstoi, Franz Werfel und vielen anderen.
Diese Anthologie lege ich jedem noch bewußt mit der Bahn Reisenden, jedem Nostalgiker und jedem Literaturfreund wärmstens ans Herz. Man taucht mit ihr in eine Vergangenheit ein, in der Züge sogar noch pünktlich waren. Sie ist ein Gewinn und hat dank ihrer Vielfalt und ihrer trefflichen Kommentare unser Prädikat verdient: den Musenkuß.
 
Guido Fuchs – „In der Bahnhofsgaststätte. Ein literarisches Menü in zwölf Gängen“
© 2022 Verlag Monika Fuchs, 259 Seiten, Klappenbroschur, einige Abbildungen – ISBN: 978-3-947066-65-0
€ 17,50
 
Weitere Informationen: www.verlag-monikafuchs.de