Abschied vom Flughafen Berlin-Tempelhof

Eine Ära der Luftfahrt geht am 30. Oktober zu Ende - und die Berliner werden ausgesperrt

Ein offenes Wort von Frank Becker

Archiv Musenblätter
Der Insulaner verliert die
Ruhe nicht...


Er war das Ziel unserer Kindheitsträume - von unten und von oben. Von oben kamen während der russischen Berlin-Blockade 1948/49 über die wundervolle und von keinem Berliner je vergessene alliierte Luftbrücke die Überlebens-Mittel, von oben sah ich später als Bub die Lichter der Großstadt, wenn ich aus dem westdeutschen "Exil" in den Sommerferien mit der mächtigen viermotorigen Super Constellation zur Oma in die Hauptstadt flog. Von unten sahen wir die startenden und landenden Flugzeuge, die durch ihren Liniendienst die "Insel Berlin" über Stacheldraht, Minenfelder und Mauern hinweg mit dem freien Teil Deutschlands und Westeuropa verbanden.
Auf dem Platz vor dem Zentralflughafen mit seinem elegant geschwungenen Empfangsgebäude im Herzen Berlins steht seit 1951 zur Erinnerung an die Blockade das Luftbrückendenkmal, von den Berlinern auch "Hungerharke" genannt, das der vor allem amerikanischen und englischen Piloten gedenkt, die im Dauereinsatz und Minutentakt mit ihren Hilfsflügen die Freiheit West-Berlins bewahrten - 78 von ihnen ließen dabei durch Unfälle ihr Leben. Es gibt neben dem alten Funkturm an den Messehallen und dem "Hohlen Zahn", der Kaiser Wilhelm Gedächtniskirche, wohl kaum einen markanteren Platz im Westen der jetzt glücklich wieder vereinten Stadt, der mehr und enger verbunden dem Volk gehört als irgend ein anderer. Hier landeten zu Zeiten der Not die Rosinenbomber, von hier aus erreichte man ungehindert den Westen. Nichts gegen Tegel, Gatow  oder nun auch Schönefeld - Tempelhof war und ist für die Berliner ein Symbol, das Tor zur Welt. 

Schaut auf diese Stadt!

Nun erfährt man, daß bei der Abschiedsfeier für den traditionsreichen Flughafen am 30. Oktober, 60 Jahre nach dem Beginn der Luftbrücke, die Bürger draußen bleiben müssen. Der Abschiedsfeier ist für die "bessere Gesellschaft" reserviert. Wer kein V.I.P. ist, darf nicht rein. Und wer von denen rein will, kann sich für Unsummen den Zutritt kaufen. Das ist instinktlos, würdelos und im höchsten Grade peinlich.
"Ihr Völker der Welt, ihr Völker in Amerika, in England, in Frankreich, in Italien, schaut auf diese Stadt und erkennt, daß ihr diese Stadt und dieses Volk nicht preisgeben dürft, nicht preisgeben könnt!" rief Ernst Reuter 1948 der Welt zu - und die Welt hörte ihn.
Klaus ("und das ist gut so") Wowereit, der 1953 ausgerechnet in Tempelhof geboren wurde, sollte auch mal hinhören, dann würde er das Knistern im Gebälk hören. Doch er scheint der Berliner Bevölkerung nicht besonders verbunden zu sein, sonst würde er wohl nicht als Landesfürst und V.I.P. an der exklusiven Feier teilnehmen und "seinen"
Bürgern damit den Rücken zukehren. Da wäre

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schnelles Umdenken angesagt, schon aus politischem Kalkül. Die Berliner Verwaltung ist für die Berliner da und nicht als Selbstbedienungsladen für die, die sich für wichtig halten.

Der Abschied vom geliebten Zentralflughafen Tempelhof wird manch einem Berliner ohnehin schwer werden, zu viele Erinnerungen hängen daran. Man darf die Bürgen beim Abschiednehmen nicht auch noch aussperren. Das ist entwürdigend. Politiker, die auf eine Wiederwahl spekulieren, sollten sich das wohl überlegen. Denn es geht auch ohne sie. Was zählt, ist der Berliner, den Günter Neuman vom RIAS Berlin mit seinem Kabarett "Die Insulaner" seit Dezember 1948 so besang:

"Der Insulaner verliert die Ruhe nicht,

der Insulaner liebt keen Jetue nicht,
der Insulaner hofft unbeirrt,
daß seine Insel wieder'n schönes Festland wird.
"