Wir haben nur die eine Erde

Thomas Unnerstall – „Faktencheck Nachhaltigkeit“

von Johannes Vesper

Faktenscheck Nachhaltigkeit
 
Im ZDF erfuhr wir es am Overshoot day um 06:51 Uhr per Eimeldung: Ab 28.07.22 -haben Experten berechnet- lebt die Menschheit auf Pump. „Wälder, Wasser, Ackerland: Die Menschheit verbraucht jedes Jahr mehr natürliche Ressourcen, als die Erde erneuern kann“. Stimmt das?
In seinem Buch „Faktencheck Nachhaltigkeit“ hat sich der Physiker Thomas Unnerstall genauer die Schlagzeilen zu den ökologischen Krisen angesehen. 1.8 Erden verbrauchte die Menschheit angeblich im Jahre 2020. „Wirklich?“ fragte sich der Buchautor und untersucht, wie diese Aussage zustande kommt. Die Probleme sind komplex. Für den Faktor 1,8 sind im Wesentlichen die Treibhausgase und CO2-Emissionen bedingt. Bei Betrachtung nur des nichtenergetischen ökologischen Fußabdrucks werden nicht 1.8, sondern „nur“ knapp 2/3 der erneuerbaren Ressourcen verbraucht. Und auch für die mineralischen Rohstoffe ((Eisen, Kupfer, Aluminium, Phosphor und Stickstoff) seien Engpässe vor allem auch bei zunehmender Kreislaufwirtschaft im 21. Jahrhundert und darüber hinaus nicht zu erkennen. Leben wir also nicht auf Pump? Kann etwa Nachhaltigkeit angenommen werden? Nein, (noch) nicht bezüglich Energie und CO2-Emissionen.
 
 „Die CO2-Emissionen aus Kohle, Erdöl und Erdgas machen aktuell 75% der gesamten Treibhausemmissionen aus“. Um die wichtigsten Schlußfolgerungen seiner Untersuchungen gleich vorweg zu nehmen (wie im Buch), der Klimawandel infolge des Treibhauseffektes bedingt das allergrößte Nachhaltigkeitsproblem der Menschheit. Die Verbrennung, die exzessive Nutzung fossiler Energieträger muß so schnell und so weit wie möglich gestoppt werden. „Unter allen ökologischen Brennpunkten…ist der Klimawandel mit großem Abstand das schwerwiegendste Problem“!
Weit weniger problematisch stellt sich 2. die Abholzung des tropischen Regenwaldes dar. (siehe dazu auch Reichholf, Josef H. und Johann Brandstetter: Regenwälder – Ihre bedrohte Schönheit und wie wir sie noch retten können). Natürlich müssen auch die Bemühungen für eine nachhaltige Landwirtschaft, ihr Düngemittel- und Pestizidverbrauch, die Nahrunsmittelproduktion, für die Trinkwasser- und Rohstoffgewinnung, für den Artenschutz, zur Vermeidung von Bodenerosion und für die sachgerechte Entsorgung von Plastikmüll systematisch gesteigert werden. Vielleicht aber haben wir damit etwas mehr Zeit. Jedes verlorene Jahrzehnt aber beim Klimaschutz wird die Welt dramatisch verändern.
 
Überraschenderweise stellt der Autor fest, daß die Weltbevölkerung bei bisher schon sinkender Fruchtbarkeitsrate (außer in Afrika!) um 2100 ihren Höchststand erreichen und wieder abnehmen wird. Bei zunehmendem Lebensstandard auch in Afrika - kein Parameter beeinflußt die Fruchtbarkeitsrate so wie er- ist die Annahme, daß das Maximum der Weltbevölkerung dann bei ca. 11 Milliarden Menschen liegen wird, um langsam wieder abzufallen, nicht unrealistisch. Den Berechnungen des Buches zum ökologischen Fußabdruck liegen solche Zahlen zugrunde.
Dem oft geäußerten Vorwurf, durch die westliche Wirtschafts- und Lebensweise“ werde der Kontinent ruiniert, steht der der Autor skeptisch gegenüber. „Nachhaltige Entwicklung ist nur mit neuen Wohlstandsmodellen und Konsumstilen möglich“ schrieb Uwe Schneidewind 2018 (1). Die vorhandenen Ressourcen der Erde reichen nicht aus, daß alle Menschen so leben wie der reiche Norden (Nordamerika und Europa), wird behauptet. Den Fragen nach der Entwicklung der Weltbevölkerung, der Landnutzung, der Nahrungsmittelproduktion, des Trinkwasser wird in jeweils eigenen Kapiteln nachgegangen und zwar jeweils nach der gleichen Gliederung: Einführung, Fakten unter globale Sicht, Fakten bezüglich des Westens, wahrscheinliche Entwicklung bis 2050 und Zusammenfassung. Die schematische Behandlung dieser Themen erleichtert beim Lesen Verständnis und Orientierung. Das Werk liefert übersichtlich Zahlen und Fakten, vergleichbar dem Bändchen „Zehn Milliarden“ von Stephen Emmott (2), ist aber wegen des Textes deutlich informativer und liefert zuletzt Schlußfolgerungen aus Daten und Statistiken öffentlich zugänglicher Datenbanken der UNO, der Weltbank und vieler anderer Organisationen. (Umfangreiches Literaturverzeichnis von 12 Seiten, nach Kapiteln aufgeschlüsselt am Ende des Buches). Dabei wird eigentlich Zuversicht verbreitet und die Lektüre stimmt grundsätzlich nicht depressiv, wenn nur die Dekarbonisierung der Energie gelingt.

1)Schneidewind, U. „Die große Transdormation“, Fischer Frankfurt, S.54, 2018 U. Schn
2)Stephen Emmott: Zehn Milliarden, Suhrkamp 2013
 
Zwar muß auf Energie aus fossilen Energieträgern schnellst möglich verzichtet werden, aber der Umstieg auf erneuerbare Energien, auf Wind-, Sonnen und Wasserenergie stellt kein prinzipielles Problem dar. Er ist technisch möglich und auch bezahlbar. Wir haben kein Energieproblem, sondern ein CO2-Prblem. Man muß nur endlich mit allen Kräften loslegen und die Ziele der Klimakonferenzen 2015 in Paris und 2021 in Glasgow umzusetzen: Also die Erderwärmung auf max. 1.5 Gr begrenzen, Kohleausstieg beschleunigen, finanzielle Unterstützung für Klima- und Artenschutzmaßnahme ärmeren Länder gewähren. Aber noch steigen die CO2-Emmissionen weiter an. Die aktuelle, katastrophale Abhängigkeit von fossilen Energien ist nicht nur aus wirtschaftlicher sondern auch aus versorgungspolitischer und vor allem eben auch aus klimapolitischer Sicht fatal. Ob es der Ampelkoalition gelingt, den klimazerstörenden Einfluß von Wirtschaft und Klimaschmutzlobby zu mindern, wird nicht diskutiert.


Kohlekraftwerk Mannheim - Foto © Johannes Vesper

Bei vielen der Grafiken im Buch fällt auf, daß der Anstieg vieler bedrohlicher Parameter erst seit der 60er Jahren des 20. Jahrhundert signifikant und enorm, ja teilweise bedrohlich zunehmen.
Ob der Autor die Möglichkeiten der Transformation zu optimistisch darstellt? Noch scheint es Möglichkeiten zur Rettung unserer Erde zu geben. Wir haben nur die eine.

 
Thomas Unnerstall – „Faktencheck Nachhaltigkeit“
Ökologische Krisen und Ressourcenverbrauch unter der Lupe
© 2021 Springer Berlin, 277 Seiten, Broschur und E-Buch – ISBN: 978-3-662-62600-9
23,- €
 
Weitere Informationen:  https://link.springer.com