„Auf der Suche nach dem Kern der Musik“

Der Pianist Fabian Müller im Porträt

von Johannes Vesper

Foto © Karl-Heinz Krauskopf

 „Auf der Suche nach dem Kern der Musik“
 
Der Pianist Fabian Müller im Porträt
 
Von Johannes Vesper
 
Schon im ehrwürdigen Neo-Renaissance Treppenhaus der Musikhochschule am Sedansberg war sein Klavierspiel zu hören. Nach Anklopfen brach es ab und Fabian Müller bat „Herein“. Zwei Flügel und ein kleiner Tisch mit zwei Stühlen füllen das karge Unterrichtzimmer. An der Wand hängt der pianistisch eher unbegabte Richard Wagner in historischem Rahmen. Aber auf dem Flügel standen die Noten, die aktuell erarbeitet wurden: Die komplizierte Fantasia contrappuntistica in der Fassung für zwei Klaviere von Ferruccio Busoni, der damit die Bachsche „Kunst der Fuge“ in das 20. Jahrhundert „transponieren“ wollte. Im Gespräch mit dem international höchst erfolgreichen Pianisten wird schnell deutlich, wie Ernst, Respekt, Angstfreiheit auch gegenüber den schwierigsten Werken sein Verhältnis zur Musik bestimmen. „Meinem Vater verdanke ich die ersten geordneten Anschläge auf dem Klavier. Als 3jähriger habe ich damit begonnen“. In der evangelischen Pfarrerfamilie mit vier älteren Schwestern wurde viel musiziert und gesungen. Als Vierjähriger wechselte er zur Bonner Musikschule. Bei seiner ersten und noch heute verehrten Lehrerin Rosemarie Zartner blieb er mehr als zehn Jahre. „Gedrillt worden bin ich nie und habe als Kind und Halbwüchsiger selten mehr als zwei Stunden Klavier pro Tag geübt“
 
Im Alter von 16 Jahren kam er als Jungstudent an die Kölner Musikhochschule zu dem berühmten Pierre-Laurent Aimard. Welch ein Schritt, von der städtischen Musikschule zum Weltstar an die wohl größte Musikhochschule Europas. Die phantastische Strenge wie Nähe dieses Lehrers haben ihn herausgefordert und stark motiviert. Er habe dann einfach losgelegt und seine Berufschancen als Konzertpianist nur selten bedacht. 2020 während der Coronapandemie habe er acht Monate lang kein einziges Konzert gespielt, keinerlei Einkünfte gehabt. Psychisch wie physisch überlebt habe er nur dank seiner damaligen Freundin und heutigen Frau. Eigentlich kein Wunderkind, hatte er 2013 Aufsehen erregt mit dem Gewinn eines Sonderpreises beim Ferruccio-Busoni in Bozen und 2017 beim internationalen ARD-Wettbewerb in München mit gleich fünf Preisen, u.a. auch dem Publikumspreis. Danach nahm die Konzerttätigkeit Fahrt auf. Er konzertierte mit dem Bayrischen Staatsorchester in der Carnegie Hall, gab einen Soloabend in der gerade eröffneten Elbphilharmonie und spielte mit dem Sinfonieorchester des Bayrischen Rundfunks, dem WDR-Sinfonieorchester, mit den Düsseldorfer Symphonikern, dem hr-Sinfonieorchester, dem SWR Symphonieorchester und anderen.
 
„Die Beschäftigung mit dem Klavier und die faszinierende Suche nach dem inneren Kern der Musik empfinde ich als eine Wanderung ohne Ende mit dem Ziel, sich mit zehn Fingern und zwei Armen auf 88 Tasten ausdrucksstark, authentisch und existentiell auszudrucken“. Dazu kann das Auswendigspielen aus dem eigenen Inneren heraus, die mentale Lösung vom Notenbild wahrscheinlich helfen, die musikalischen Gedanken, oder vielleicht besser die musikalisch-pianistische Welt der Größten (von Bach über Beethoven bis hin zu Prokofjew) in sich aufzunehmen und sie einem interessierten Publikum lebendig darzulegen.
Wenige Pianisten spielen auf seinem Niveau. Die Einsamkeit des Konzertpianisten im Hotelzimmer nach umjubeltem Konzert schätzt er durchaus. Unterwegs im Zug lese er Noten, bedenke Fingersätze und bereite sich gedanklich auf kommende Konzerte vor. Was macht er, wenn er nicht Klavier spielt? Wandern in freier Natur erfrischt ihm Geist und Seele. Abschalten konnte er immer bei jedem Ballspiel, vor allem auch bei der Motorik und Konzentration des Tischtennisspiels. Wie er mit dem inzwischen geborenen Familiennachwuchs umgehen würde, wußte er bei diesem Gespräch noch nicht und hoffte nur, daß sein Klavierspiel toleriert werden würde.
Mit einer gewissen Skepsis erzählt er über Macht und den Einfluß sozialer Netzwerke. Tägliches Arbeiten auf Facebook und Instagram koste Zeit, sei aber für ihn als Konzertpianisten unverzichtbar. Zwar kenne der Algorithmus keine musikalische Qualität, aber die Zahl der Klicks auf „Gefällt mir“ wirken heute stärker als Mund-Propaganda nach einem großen Konzertabend oder Konzertkritiken in hochrangigen Feuilletons. Klickzahlen und Likes machen heutzutage einen nicht unbedeutenden Teil des Marktwertes von Künstlern aus.
 
Seine Diskographie wächst: Nach „Outdoors“ (Ravel, Bartok Messiaen, Beethoven) erschien eine CD mit Werken von Johannes Brahms (Op. 10/76/117). Im März 2021, sozusagen auf der der Höhe des Corona bedingten Kulturverbots, erschien seine CD „Passionato“ mit leidenschaftlichen Höhepunkten abendländischer Klaviermusik (Beethoven, Schumann, Brahms, Wolfgang Rihm) und seit dem Frühjahr 2022 kann der Interessierte die letzten Klavierwerke von Franz Schubert, „Regenbogen und Gewitterstürme“ kaufen und genießen (Fabian Müller 31)
Mit Beethoven teilt er seine Geburtsstadt und in Bonn gründete er seine eigene Kammermusikreihe. Zu den „Bonner Zwischentönen“ lädt er musikalische Freunde ein und bietet auf höchstem Niveau höchst erfolgreich Kammermusik von jungen Musikern unter der Schirmherrschaft von Franz Xaver Ohnesorg, dem Intendanten des Klavier-Festivals Ruhr.
Was passierte in jüngster Zeit? Mit dem kürzlich hier beim Gedenkkonzert für Detlev Muthmann gehörten Schumann-Quartett, spielte er in Kopenhagen und Luxemburg. In Dresden gab er Klavierkonzerte von Bach und Britten mit dem dortigen Philharmonischen Kammerorchester. Am 12. Oktober trat er in Hannover mit Albrecht Mayer auf.
Und in Zukunft? Am 10 November gibt es in der Kölner Philharmonie ein Recital mit Beethoven, Rihm, Schubert, Schumann, am 07.12.22 mit den Münchenern Symphonikern Beethoven, Klavierkonzert Nr. 2. Geplant sind große Auftritte mit Daniel Barenboim und der Staatskapelle Berlin in der Staatsoper zum Jahreswechsel 2022/23, und andres mehr.
 
„Meine Zukunft und meine Vergangenheit, mein Leben ist das Klavier“ sagte er mir, aber nicht einfach der `normale´ Konzertbetrieb.“. Er möchte für das Klavier begeistern und seinen Studenten vermitteln, daß dazu Engagement, Fleiß, Intelligenz, Selbstkritik, Präzision, Teamfähigkeit und die Suche nach dem eigenen Selbst gefordert ist. Ziel japanischer Schulen ist es, daß der Konzertpianist seine Ausbildung mit 18 oder 20 Jahren abgeschlossen hat. „Das sehe ich ganz anders“. Ohne besonderen Fleiß geht allerdings gar nichts. Gegenüber russischem und asiatischem Musikstudium werde in Deutschland zu wenig geübt. Aber unkritischer Drill geistloser Fingerfertigkeit ist nicht das Ziel. Fordernde Strenge in Übereinstimmung zu bringen mit großzügiger Nachsicht gegenüber Fehlern und trotz aller Mühen die Freude an der Musik, an ihren spielerischen, handwerklichen, visionären, emotionalen Eigenschaften zu steigern, darin besteht die pädagogische und menschliche Herausforderung. Er selbst ist davon überzeugt, daß der Mensch mit seinen musikalischen Aufgaben wächst und die lebenslange Beschäftigung mit dem Klavier, seinen ca. 230 Stahlsaiten und zwei Pedalen Struktur für das Leben bietet.
Natürlich ist dem Professor für Klavier an der Musikhochschule in Wuppertal klar, daß nicht jeder seiner Schüler eine internationale Karriere als Konzertpianist erwarten kann, „aber selbst abgebrochener Instrumentalunterricht ist ein Gewinn und nicht nur für denjenigen, der das unbegabte Üben nicht mehr anhören muß“. In Folge seines eigenen Weges fördert er Musikschulen mit aller Kraft, vom Educationprojekt des Klavierfestivals Ruhr in den sozialen Brennpunkten des Ruhrgebietes bis hin zur Bergischen Musikschule in Wuppertal, wo sich vor einigen Monaten die Kinder und Jugendlichen von „seinem Beethoven“ zur Einweihung des neuen Steinways schwer beeindruckt zeigten.
Die Musikfreunde Wuppertals hoffen, daß Fabian Müller als Professor für Klavier in Barmen den Glanz der Musikstadt Wuppertal in die Welt hinausträgt und vor allem auch hier oft zu hören ist.