Literaturnobelpreis 2022 für Annie Ernaux

von Johannes Vesper

© Suhrkamp Verlag

Literaturnobelpreis 2022 geht an Annie Ernaux
 
Von Johannes Vesper
 
Für ihren Mut und ihre klinische Schärfe, mit denen sie die Wurzeln, die Entfremdung und die kollektiven Grenzen persönlicher Erinnerung“ erhalte sie den Nobelpreis, wird die Schwedische Akademie zitiert.  Damit erhielt die seit Jahren schon nicht nur in Frankreich bekannte Schriftstellerin für ihre autobiographischen Erkundungen des eigenen Ichs als 19. Frau den Literaturnobelpreis, der seit 1901 vergeben wird. 2021 hatte der in Sansibar geborene, Professor für Englisch und postkoloniale Literatur Abdulrazak Gurnah mit seinem eher politisch zu verstehenden Werk („Schwarz auf Weiß“) die Auszeichnung erhalten. 2022 werden jetzt dagegen also eher persönliche, autobiographische, erfolgreiche Texte geehrt und der politische Aspekt der Literatur erstaunlicherweise für weniger wichtig gehalten, obwohl Krieg in Europa herrscht, der mit Zerstörung ganzer Städte und mit dem Tod von Zivilisten und Soldaten Angst und Schrecken verbreitet, mit unabsehbaren Folgen für die ganze Welt.
 
Annie Ernaux stammt aus der Normandie (geb. 1940), wo teilweise auch ihre Romane spielen. Scham, Abtreibung, Vergewaltigung werden thematisiert. Ihre nahezu privaten Texte, denen persönliche Tagebücher zugrunde liegen könnten, scheinen aber nach dem Erfolg ihrer Bücher gesellschaftliche Relevanz zu entfalten. Mehr als zwanzig Bücher hat sie geschrieben, hat ihre Familie autobiographisch bei den Filmfestspielen in Cannes präsentiert („The Super 8 Years“) und ihr Roman „Das Ereignis“ wurde verfilmt und mit dem Goldenen Löwen in Venedig ausgezeichnet.
 Auf Deutsch sind ihre Werke bei Suhrkamp erschienen: „Das andere Mädchen“, „Das Ereignis“, „Die Jahre“ „Der Platz“, „Eine Frau“. 
 
„Die Scham“ (2018) und „Erinnerung eines Mädchens“ (2020) wurden in den Musenblättern  vorgestellt und rezensiert.