Eigentlich ein Lehrstück

„Meine Stunden mit Leo“ von Sophie Hyde

von Renate Wagner

Meine Stunden mit Leo
(Good Luck to You, Leo Grande - GB 2022) 

Regie: Sophie Hyde
Mit: Emma Thompson, Daryl McCormack, Isabella Laughland
 
Die Spannweite dessen, was Film zu leisten vermag, ist schier grenzenlos. Kein Problem, das man nicht aufbereiten könnte. Etwa das von älteren Frauen (sagen wir Fünfzig plus), die bisher an der Seite desinteressierter Gatten noch nie empfunden haben, was sexuelle Lust (geschweige denn ein Orgasmus) ist. Was tun? Nun, ist der Gatte verblichen, dann nur Mut, will dieser Film der australischen Regisseurin Sophie Hyde sagen: Ein Loverboy kann Euch zeigen, wie es geht!
Das klingt nach Komödie, das weckt bei sensiblen Gemütern die Sorge, es könnte peinlich werden, und am Ende ist es eine runde Geschichte in vier Kapiteln, die allerdings nur dank der beiden Hauptdarsteller funktioniert. Vor allem die Dame muß sich etwas trauen, und Emma Thompson, eine unter Großbritanniens kostbarsten Schauspielerinnen, tut es. Schließlich ist es ja nicht so einfach, in einem Hotelzimmer plötzlich einem Beau gegenüber zu stehen – da bauen sich vor der Wunscherfüllung schließlich noch einige Hindernisse, Hemmnisse auf.
Thompson spielt die nicht mehr junge Ex-Lehrerin Nancy Stokes, die den mutigen Schritt unternommen hat, sich professionellen Sex zu kaufen, und man merkt, daß sie gewohnt ist, zu reden (viel zu reden) und zu analysieren, denn sie vergeudet die teuer bezahlte, kostbare Zeit mit Psycho-Geschwätz, womit sie das, was sie ebenso fürchtet wie ersehnt, erst einmal hinaus schiebt. Was da an Komplexen abzuarbeiten ist – Emma Thompson macht es schlechtweg virtuos, ohne es als Virtuosenleistung auszustellen.
 
Daß es nach und nach zum Sex kommt und zwar zu durchaus befriedigendem (ungeachtet der experimentellen Grundlage für die Frau), ist nur ein Teil des Films, und Daryl McCormack (ein neues Gesicht, ein Ire mit einem kleinen Schuß Exotik in seiner Erscheinung) gibt dem Loverboy, der sich „Leo Grande“ nennt, so viel Sensibilität, daß man dergleichen Partner nur jeder Frau in dieser Lage wünschen kann. Es ist klar, daß die Regisseurin, die für diese Figur viel im „Milieu“ recherchiert hat und Bewunderung für diese „Sexarbeiter“ und ihre Funktion empfindet, hier alles Schmutzige, Schleimige wegräumen will und den gekauften Sex nicht in Ulrich-Seidl-Manier sieht.
Aber bei intelligenten Menschen, und vor allem bei unserer Lehrerin handelt es sich um solche, steht immer auch das Interesse am Menschen im Vordergrund. Von ihr selbst erfahren wir, daß sie einen langweiligen Sohn und eine überagile Tochter hat, und sie möchte auch mehr über Leo wissen. Dieser jedoch versucht, seine „Rolle“ und sein wahres Leben strikt auseinander zu halten.
Wenn das Geschehen auf diese persönliche Ebene rutscht (der von seiner Mutter verstoßene Loverboy und seine Probleme), wird es ein wenig kitschig. Daß die Autorin der Beziehung der beiden ein Ende setzt, es dann doch auf dem beruflichen Level beläßt und das Private ausschaltet, beruhigt. Wenigstens kein Kitsch von dieser Seite.
Wenn Emma Thompson am Ende nackt und zufrieden in den Spiegel blickt, ist das ein Happyend für die Fünfzig plus-Frau, die gelernt hat, zu ihrem Körper und ihren sexuellen Bedürfnissen zu stehen. Eigentlich ein Lehrstück bzw. ein Lehrfilm…
 
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Renate Wagner