Außer dem Hauptdarsteller nichts gewesen

„Der Engländer, der in den Bus stieg und bis ans Ende der Welt fuhr“ von Gillies MacKinnon

von Renate Wagner

Der Engländer, der in den Bus stieg
und bis ans Ende der Welt fuhr

(The Last Bus - GB 2021)

Regie: Gillies MacKinnon
Mit: Timothy Spall, Phyllis Logan, Ben Ewing
 
Wer wegen der Schauspieler ins Kino geht (auch solche Leute gibt es, wenn auch vielleicht nicht so häufig), dem bietet der englische Film eine Reihe großartiger, unverwechselbarer Gesichter. Eines davon gehört dem 65jährigen Timothy Spall, den seine Rundlichkeit dazu prädestiniert hat, Winston Churchill zu verkörpern, der aber vor allem in seiner Darstellung des Malers William Turner unvergessen ist. Er zählt zu jenen Schauspielern, die einen Film tragen können und dem man folglich Filme auf den Leib schreibt – jene, die sich nicht an ein jugendliches, sondern an ein älteres Publikum wenden. Und entsprechend elegisch sind.
Leider ist dem Drehbuchautor Joe Ainsworth nur das Allersimpelste eingefallen, um einen Mix aus tragischem Alterstremolo und einem Roadmovie zu finden, das vom Norden Schottlands bis in den Süden Englands führt. Glücklicherweise hat der 90jährige (Spall spielt die Gebrechlichkeit, ohne allzu sehr auf die Tube zu drücken, wie überhaupt sein Unterspielen so effektvoll ist, wie es ein Überspielen nie wäre) nicht nur die Asche der verstorbenen Gattin (Phyllis Logan) im Koffer, sondern ist in Rückblenden auch mit ihr zu sehen.
 
Sonst würde man ihn nämlich nur dabei erleben, wie er mit den schlichten Linienbussen (für Senioren gebührenfrei) das Land durchquert. Dazwischen landet er in billigen Bed & Breakfast-Absteigen. Wie getrieben reist er immer weiter, auch als er zwischendurch im Spital landet – „Ich muß einen Bus erreichen“, sagt er, und ob man glaube, wenn er im Spital bliebe, er es je wieder verlassen würde?
Man fragt sich, ob Regisseur Gillies MacKinnon auch ein kleines Panorama englischer Alltagstypen im Sinn hatte, aber die Leute, die dem Alten begegnen, mögen zwar typisch sein, schnippisch, mitleidig, rücksichtslos und auch bereit, jemanden zu bestehlen, aber niemand wird als Figur interessant.
Und wenn gegen Ende – es spielt schließlich hier und heute – der Alte zum minutenlangen Star der Sozialen Medien wird, als sich seine Pilgerreise in den Süden (wo er seine Frau kennen gelernt hat und ihre Asche verstreuen will) herumspricht, ist das auch ohne nennenswerten Nachdruck.
 
Die Regie arbeitet mit allen vordergründigen Bildern – die alten Beine, die sich schwer bewegen, Regen, Einsamkeit, Behinderung, Mühsal der Existenz… das Davonlaufen aus dem leer gewordenen Leben. Warum geht es nicht unter die Haut? Vielleicht weil es so spürbar eher ein sentimentales Drehbuch als wahr empfunden ist. Und außerdem tritt es ermüdend auf der Stelle.
Die englische Presse reagierte nicht sehr patriotisch, was ihr zur Ehre gereicht, der „Guardian“ fand, der Film sei nur ein klischeebepacktes Vehikel für Spall, der, nach anderer Meinung, dieses leblose Drama auch nicht zum Leben erwecken könne. Leider fast richtig.
So begleitet man das unendlich traurige Gesicht von Timothy Spall durch einen unendlich traurigen Film, der als Ganzes eigentlich einen schalen Nachgeschmack hinterläßt. Außer dem Hauptdarsteller nichts gewesen.
 
 
Renate Wagner