Was ist das jetzt und warum?

„Corsage“ von Marie Kreutzer

von Renate Wagner

Corsage
Österreich / Deutschland 2022

Drehbuch und Regie: Marie Kreutzer
Mit: Vicky Krieps, Florian Teichtmeister, Katharina Lorenz, Manuel Rubey u.a.
 
Was historische Persönlichkeiten betrifft, gibt es meist – und im Fall der ununterbrochen immer wieder betrachteten Kaiserin Elisabeth erst recht – eine historisch bekannte Realität. Und es gibt die Aneignung dieser Personen (die sich nicht wehren können) durch künstlerische Interpretation. Wie viel nun der Mensch und die Spekulation darüber mit einander zu tun haben – das liegt im Ermessen des Betrachters. Kurz – die Opfer sind ihren Interpreten hilflos ausgeliefert. Und Elisabeth, von „Sissi“ bis „Corsage“, erst recht.
Die österreichische Filmemacherin Marie Kreutzer hat, wohl auch in der Absicht, anti-Sisi-mäßig zu verfahren, eine Kunstfigur geschaffen, an der nur eines sicherlich stimmt: die Fixierung auf ihr Aussehen, die Angst, alt zu werden und nicht mehr als die legendäre Schönheit zu gelten, deren Ruhm durch ganz Europa ging. Alles andere, was man in „Corsage“ sieht, dürfe Dichtung sein, die mit der Wirklichkeit nicht viel zu tun hat. Wird eine „tiefere, innere Wahrheit“ erreicht?
 
Wie es heute üblich ist, wird ein Leben exzessiv ausgeschmückt. Hätte Kaiserin Elisabeth je „Arschloch“ gesagt? Hätte sie wohl bei einem offiziellen Essen im großen Kreis geraucht? Hätte sie sich beim Besuch von Kriegsversehrten zu einem von ihnen ins Bett gelegt? Hätte sie sich wirklich eigenhändig ihre so berühmten langen Haare, um die sie einen solchen Kult betrieben hat, abgeschnitten?
Aber das sind eigentlich eher Kleinigkeiten. Um zu zeigen, wie eine mutwillige Vierzigjährige agiert, muß man ihr zusehen, wie sie in der Badewanne onaniert; wie sie sich ihrem Gatten nackt zeigt, um ihn dann doch abzuweisen; wie sie im Bett auf ihrem Cousin Ludwig II. von Bayern „reitet“, so sexbereit wie gegenüber ihrem Reitgefährten Bay Middleton, wobei aber beide Herren offenbar nicht wollen.
 
Immerhin fegt Hauptdarstellerin Vicky Krieps so mutwillig durchs Geschehen, daß man ihr alle Exzentrik, die ihr das Drehbuch anschminkt, glaubt – eine Frau, die sich mit fester Absicht würdelos schlecht benimmt. Die legendäre Schönheit, die im Grunde die Voraussetzung für diese Figur wäre, bringt sie nicht mit, nicht einmal annähernd. Und das wäre, ginge es um die wirkliche Kaiserin Elisabeth, ein Manko. Aber es geht ja nur um die Ideen der Marie Kreutzer.
Natürlich ist Kaiser Franz Joseph der Sündenbock der Geschichte, aber Florian Teichtmeister gibt leicht parodistisch einen Mann, dem seine Frau einfach auf die Nerven geht (während er sie im wahren Leben bis zu seltsamster Hingabe geliebt hat). Ähnliches gilt für die Kinder, der junge Rudolf, (blaß: Aaron Friesz) die kleine Valerie – daß diese sich für die so sehr „abweichende“ Mutter genieren, glaubt man aufs Wort. Colin Morgan als Reitgefährte Bay Middleton und Manuel Rubey als Ludwig II. von Bayern könnte es so oder so ähnlich gegeben haben, auch eine hingebungsvolle Hofdame, wie Katharina Lorenz: die Marie Festetics zeichnet. Das sind im Strudel eines überbordenden Drehbuchs wenigstens Figuren, an denen man sich festhalten kann.
Im übrigen ist es auf jeden Fall ein bewußt und absichtsvoll enigmatischer Film, der dramaturgisch völlig zerflattert, keine Geschichte erzählt, sondern nur Verhaltens-Tupfen bietet. Dabei wird man, selbst wenn man sich (hardcore biographisch, nicht Kitschliteratur) im Leben der Kaiserin auskennt, vieles, was gezeigt wird, einfach nicht interpretieren können. Was ist das jetzt und warum?
 
Die beiden Schlüsse, die Marie Kreutzer ihrem Film gibt, spielen sich jedenfalls definitiv in der Phantasie ab. Da geht Elisabeth zum Bug des Schiffes, auf dem sie sich endlich befindet – nicht, um sich an einen Mast anschnallen zu lassen, was historisch wäre, sondern um ins Wasser zu springen. Ein Wunschtraum vielleicht? Aber ihr in den Abspann eingefügter wilder Tanz, den sie wieder mit Langhaar und einem Schnurrbart (!) vollführt… was sollte das wohl sein?
Die Frage stellt man sich bei diesem Film immer wieder. Daß Elisabeth eine „seltsame Frau“ war, wußte schon ihr früher Biograph Conte Corti. Aber viele der hier gebotenen Seltsamkeiten stammen wohl allein aus dem Kopf einer Filmemacherin, die nicht die Erste ist, für die Elisabeth als Vorlage für schlichte Ausbeutung herhalten muß.
 
 
Renate Wagner