T-Saft

Zwei Reisefieber

von Rolf Nöckel

Rolf Nöckel - Foto © Frank Becker
T-Saft
 
Von Düsseldorf nach Palma de Mallorca. Eine kalte Balearen-Platte über den Wolken. Schwarzbrot, Brötchen, Salami, Senf, Käse, Kartoffelsalat. Wein und Mineralwasser. Und Knabberkekse zum Nachtisch. Lecker!
Nun, das war einmal. Heutzutage gibt es höchstens noch Tee, Kaffee und eine Stulle auf die Hand. Eigentlich komisch - wo doch fast alle Fluggesellschaften über Rückgänge klagen. Sollte man da nicht eher das Angebot für die Passagiere verbessern statt verschlechtern?
     Was mir im Flieger immer wieder auffällt: Menschen zahlen ohne zu mucken oft extra, weil sie unbedingt Sekt, Weinbrand oder Tomatensaft trinken wollen. Ja, besonders oft Tomatensaft. Mit Pfeffer und Salz und einem Plastikstäbchen zum Umrühren. Diese rote Suppe, die man sonst nur in Reformhäusern oder alle Schaltjahre mal in Restaurants mit vegetarischer Speisekarte zu Gesicht bekommt. Aber in Flugzeugen, da wird Tomatensaft wie wild verlangt. Die Lufthansa hält Monat für Monat über 33.000 Liter Tomatensaft für ihre Passagiere bereit.
     Warum? Keine Ahnung. Das Phänomen T-Saft gehört zu den letzten großen, ungeklärten Rätseln im gesamten Flugwesen. Sich verdichtenden Gerüchten zufolge ist es sogar völlig unmöglich, daß ein Verkehrsflugzeug ohne T-Saft an Bord überhaupt abheben kann.
     Warum dieses Getränk in Supermärkten wie Blei im Regal steht, aber im Flieger so wahnsinnig geliebt wird es bleibt ein Rätsel. Natürlich gibt es Theorien mit physiologischem (Veränderung des Geschmacksempfindens in zehn Kilometern Höhe) oder psychologischem Hintergrund („Ich will dazu gehören"). Die einzig wahre Erklärung aber - sie bleibt offen.
Oder haben Sie eine? Dann sollten wir uns mal verabreden und die Sache ausdiskutieren. Übrigens: Ich trinke Pils.
 
 
Noch T-Saft, bitte!
 
Ein schmackhaftes Thema: das unbändige Verlangen vieler Passagiere nach gewürztem Tomatensaft im Flugzeug. Ein kultiges Vergnügen. Also dann: Frollein, pardon, Frau Stewardess, noch T-Saft, bitte!
     Tim aus Berlin mailt zu diesem Vitamin-Mysterium: „Ein Getränk im Flieger ist ja frei. Ich sollte also eins bestellen, das nicht noch mehr Durst macht, also keine Cola oder anderes Zuckersüßes. Tee täte das zwar auch, aber meist kocht das Wasser in den Maschinen nicht ausreichend, deshalb schmeckt er mir nicht. Und Wein und Bier mag ich nur, wenn das für den jeweiligen Aufenthaltsort typisch ist - Alt in Düsseldorf oder Chianti in Italien. Aber welches Getränk ist im Airbus typisch? Lufthansa-Cocktail gibt's ja wohl nicht mehr. Außerdem sind die Essensportionen eher mickrig, und Tomatensaft erscheint mir da sehr viel nahrhafter als andere Getränke.“ Das klingt einleuchtend: T-Saft als Sättigungsbeilage. Guten Appetit!
     Was ich von diskutierfreudigen Menschen ebenfalls lernen durfte: Die Möglichkeit des Nachwürzens mit Salz und Pfeffer suggeriert vielen Fluggästen offenbar, etwas aus ihrer völligen Ohnmacht jeglicher Mitbestimmung beim Fliegen auszubrechen - und wenigstens den Geschmack ihres heiß geliebten Tomatensafts selbst in der Hand zu haben. Geheime Rebellen haben sogar schon nach Salz und Pfeffer verlangt und dann trotzdem nicht gewürzt. Das klingt souverän: T-Saft mit Bluff. Stark fürs Ego!
     Übrigens: Als ich am Wochenende in meiner Sportlerkneipe ein Pils bestellte, machten alle große Augen, als ich Salz und Pfeffer dazu orderte. Hab' natürlich nicht nachgewürzt, aber der Gag war da. Muß ich demnächst mal im Flieger wiederholen. Dann wird Frau Stewardess aber staunen.
 
Rolf Nöckel

Text mit freundlicher Erlaubnis aus „Kompass und Wind“ von Rolf Nöckel (1953-2017)
2005 WDL-Verlag Berlin