„Wunder, Freuden, süße Wonne, herrliches Genießen“

Richard Wagners Tannhäuser – Glanzvolle Dernière in der Oper Wuppertal

von Johannes Vesper

Ensemble - Foto © Bettina Stoess

„Wunder, Freuden, süße Wonne, herrliches Genießen“
 
Richard Wagners Tannhäuser – Glanzvolle Dernière in der Oper Wuppertal
 
Von Johannes Vesper
 
›Tannhäuser‹ Romantische Oper in drei Akten von Richard Wagner
 
Musikalische Leitung: Patrick Hahn - Inszenierung: Nuran David Calis - Bühne: Anne Ehrlich - Kostüme: Anna Sünkel - Choreografie: Matteo Marziano Graziano - Chor: Ulrich Zippelius - Dramaturgie: Marc von Reth
Besetzung: Hermann, Landgraf von Thüringen: Guido Jentjens - Tannhäuser: Norbert Ernst - Wolfram von Eschenbach: Simon Stricker - Walther von der Vogelweide: Sangmin Jeon - Biterolf: Sebastian Campione - Heinrich der Schreiber: Mark Bowman-Hester - Reinmar von Zweter: Timothy Edlin - Elisabeth, Nichte des Landgrafen: Julie Adams - Venus: Allison Cook - Ein junger Hirt: Knabensolist der Chorakademie Dortmund - Edelknaben: Kinderchor der Wuppertaler Bühnen - Opernchor der Wuppertaler Bühnen, Extrachor der Wuppertaler Bühnen, Statisterie der Wuppertaler Bühnen, Sinfonieorchester Wuppertal

Vor fast 180 Jahren (April 1842) bei schauerlichem Wetter, tiefen Wolken, Regen, Nebel machte Richard Wagner mit der Postkutsche Pause bei Eisenach zwischen Wartburg und Hörselberg. Dort ging ihm erstmalig der Tannhäuser durch den Kopf, dessen Sängerkrieg und dessen Besuch im vor ihm liegenden Hörselberg. Wenige Tage später wanderte er im Böhmerwald, geisterte dort in weißem Laken bei Vollmond durch Burgruinen und beschloß seine neue dreiaktige Oper. Was kam ihm da in Sinn?
Tannhäuser verlangt im Inneren des Venusberges von der attraktiven Venus pornografisch-erotisch „herrlichen Genuß“, ist der schwülen Situation im Hörselberg aber nicht gewachsen, will ausbrechen, verlangt nach Waldesgrün, nach dem Gesang der „lieben Vögelein“, flieht und sucht sein Heil bei der Heiligen Maria. So schließt er sich den „älteren Pilgern“ an, trifft die scheue Elisabeth, flippt aus, macht beim Sängerfest alle seine erotischen Eskapaden öffentlich. „Nur im Genuß kennt er die Liebe“. Dem Zorn der aufgebrachten Ritter entgeht der Sünder nur dank engagierter Fürsprache der liebenden Elisabeth und pilgert zum Papst, der ihm aber seine Sünden nicht vergibt. Nach der Rückkehr mißlingt eine erneute Sinn- und Lustsuche bei Venus. Elisabeth ist gestorben, Tannhäuser stirbt, erlöst durch die ihre hohe keusche Liebe. Ein Drama.
So auch die Aufführung in Paris am 13.03.1861, bei der in der Oper mit Trillerpfeifen, Gelächter und Lärm versucht wurde, den grandiosen Applaus zu übertönen. Der Pariser Jockey-Club hatte die Balletteinlage seiner Gespielinnen im 1. Aktes verpaßt. Der Kaiser überlebte diesen wohl größten Skandal der Musikgeschichte nur in seiner vergitterten Loge.
Nicht der einzige Skandal mit „Tannhäuser“. 2013 wurde bei der Premiere in der Rheinoper zu Düsseldorf mehrfach der Notarztwagen gerufen, weil Zuschauer Tannhäuser im KZ mit Vergasungen und Erschießungen nicht ertragen konnten. Und 2015 wurde in Nowosibirsk (Sibirien) der Opernintendant wegen der Tannhäuserinszenierung verklagt. Es kam zu Straßendemonstrationen. Tausende Unterschriften wurden zur Rettung des „Tannhäuser“ in Sibirien gesammelt. Jesus im Bordell, zwischen nackten Frauenbeinen, als Regisseur eines Erotikfilms: Solche Freiheit der Kunst ging schon damals Putins Partei und der orthodoxen Kirche zu weit.
 

Venus und Tannhäuser (Allison Cook, Norbert Ernst) - Foto © Bettina Stoess

Nicht so in Wuppertal. Das traditionsreiche Barmer Opernhaus wurde schon 1905 damit eröffnet. Was wurde jetzt daraus? Regisseur Nuran David Calis, zum ersten Mal in Wuppertal, geboren in Bielefeld, aufgewachsen In Istanbul, aktuell in München lebend, ist als Regisseur, Filmemacher, Autor („Dogland“ wurde am Wiener Burgtheater uraufgeführt) unterwegs. Der Tannhäuser in Wuppertal - seine erste Operninszenierung überhaupt - singt und spielt im „Multi-Kulti Zentrum“ einer deutschen Großstadt, auf der Keupstraße in Köln, mit allem was dazu gehört, vom Brautladen, übers Wasserpfeifen-Café bis hin zum Venus-Club. Zu Beginn triff sich im Bordell des Venusberges die Gesellschaft der Wartburg, alle bis auf Tannhäuser maskiert. Die orgiastische Szene aller Nutten und Kunden entsprach choreografisch allerdings eher einem Tanztee. Am Morgen danach, beim Sängerfest auf der Keupstraße, trugen die ehrbaren Mitglieder der Gesellschaft ihre Maske aus dem Bordell nach hinten. Über der Bühne schwebten drei große Bildschirme, auf denen direkt unterschiedlichste Aspekte des Geschehens projiziert wurden und die Sicht des Publikums um verschiedenste Aspekte erweiterten. Die dokumentarische Projektion des Nagelbombenattentats von 2004 wirkte beklemmend.
 
Für Patrick Hahn ist „Tannhäuser“ nicht seine erste Oper. Er hatte schon in der Bayrischen Staatsoper Opern dirigiert und ist aktuell auch mit dem „Freischütz“ in Amsterdam zu erleben. Nach alledem war man gespannt, wie diese große romantische Oper hier „rüberkommt“ und wurde nicht enttäuscht. Nach etwas zaghaften, unsicheren Beginn entwickelt das Orchester unter seinem Dirigat hinter der Balustrade des Orchestergrabens einen romantischen, großartigen, Klang mit wunderbaren Cellokantilenen, grandiosem Blech (auch als Bühnenmusik) und seelenvollen Holzbläsern. Chor, Extrachor Kinderchor, hervorragend einstudiert von Ulrich Zippelius, und den riesigen Apparat bei den schnellen Triolen am Beginn und beim heiklen Agitato am Ende des 2. Aktes zusammenzuhalten bedurfte der ganzen Autorität und Präsenz des Wuppertaler GMDs. Der junge Hirte, hier Zeitungsjunge auf der Keupstraße, sang und spielte ausdrucksstark, erhielt zu Recht Sonderapplaus. Allison Cook konnte als Venus in knappem sexy Trikot ihren Auftritt im Liebesclub nur mit Koks überstehen, substantiierte ihre Rolle sängerisch wie gelenkig-spielerisch atemberaubend, wußte mit dem trüben Wahn ihres Liebhabers nichts anzufangen und verflucht ihn zuletzt. Daß Wagner „nach Sex stinkt“, wußte schon James Joyce. Julie Adams als Elisabeth, ganz in Weiß, bot ergreifende, lyrische Höhepunkte, vom Orchester kongenial begleitet. Norbert Ernst als Tannhäuser erschien stimmlich auch in den Höhen präsent, sang kraftvoll, kultiviert, dramatisch wie am Ende brüchig- gescheitert. Berührend, wie er als Penner seine vergebliche Pilgerreise besingt. Landgraf Herrmann (Guido Jentjens) mit grauem Mantel und der islamischen Gebetsmütze entsprach eher einem Imam, der den „fleischbeladenen, sündigen“ Tannhäuser zur Beichte auch nach Mekka und nicht nach Rom hätte schicken können. Er präsidierte das das Birlikte-Kultur-Straßenfest hier auf der Keupstraße, wo zum Sängerwettstreit türkische, ukrainische u.a. Fahnen geschwungen wurden, mit dem Handy telefoniert wurde, Plakate gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit herumgetragen wurden. Simon Stricker als Wolfram von Eschenbach läuft im 3. Akt mit dem Abendstern am Nachthimmel des lichtverschmutzten Köln zu Hochform auf.
Das Bühnenbild (Anne Ehrlich) folgt vom Hörselberg über das Straßenfest bis hin zur Keupstraße bei Nacht authentisch und phantasievoll den Vorstellungen der Regie.
 

Birlikte-Fest - Foto © Bettina Stoess

Die glanzvolle Aufführung bestätigte wieder einmal, dass Richard Wagner mit seinen inneren, seelisch-musikalischen Emotionen wie mit seiner theatralischen Dramatik auf der Bühne kulturell zu den ganz Großen der Welt gehört. Zuletzt gab es großer Applaus (15 Minuten), Bravi, Bravissimi mit stehenden Ovationen für einen bewegenden Birlikte-Abend der Toleranz, des gegenseitigen Verständnisses einer offenen Gesellschaft.