Über eine akut bedrohte Landschaftsform - Lebensquelle der gesamten Erde

„Im Wald - Eine Kulturgeschichte“

von Steffi Engler

Ich ging im Walde so vor mich hin
 
Über eine akut bedrohte Landschaftsform
- Lebensquelle der gesamten Erde
 
Er ist ein Ort der Sehnsucht, ein Platz der Stille, ein Paradies für fröhliche Pilzsammler, aber auch – historisch – ein unheimlicher, dunkler Ort. Denken wir dabei nur an die Beschreibung in der Germania des Tacitus oder die Schilderung der vernichtenden Niederlage des römischen Heeres bei der Varus-Schlacht im Teutoburger Wald in den Schriften von Tacitus und Sueton. Auch ist der Wald als Element von Literatur und Dichtung ein Ort der Besinnung und Zuflucht – aber auch einer des Schreckens wie Stefan Zweifel in seinem Kapitel des Katalogs zur Ausstellung „Im Wald - Eine Kulturgeschichte“ in Schweizerischen Nationalmuseum schreibt, die dort noch bis zum 17. Juli 2022 zu sehen ist. Bedauerlicherweise macht auch Stefan Zweifel den unverzeihlichen volkskundlichen wie literaturgeschichtlichen Fehler - den ich mit Genuß jedem ankreide, der ihn begeht - zu schreiben:  Was wäre, die Märchen der Gebrüder Grimm ohne Wald? Fast die Hälfte aller Märchen spielt dort. Er ist sagenhaft-magischer Ort und typische außergesellschaftliche Lebenswelt.“ Aber da befindet er sich ja bekanntermaßen in bester ignoranter Gesellschaft.
 
Im übrigen aber ist der Katalog ein interessanter und informativer Streifzug durch die Rezeption des Waldes in Kunst und Literatur, der den Wald als Natur- und Kulturraum aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchtet. Mit dem an beeindruckenden Beispielen festgemachten Aspekt der historischen und aktuellen weltweiten Ausbeutung und Zerstörung der Wälder Europas, Südamerikas – insbesondere Amazoniens – und Malaysias ist er zudem eine intensive Mahnung. Denn bevor die industrielle Gier nach dem Tropenholz und nach landwirtschaftlichen Weide- und Anbauflächen die tropischen Regenwälder vernichtete, wurden auch in der Schweiz ganze Bergwaldregionen zu baumlosen Wüsteneien. Expertinnen und Experten diverser Fachrichtungen zeichnen die Darstellung des Waldes in bildender Kunst und Literatur nach, fragen nach der Bedeutung der Wälder für das Weltklima und erzählen die Geschichte der Nutzung und der Bewirtschaftung des europäischen Waldes. Naturschützer wie Paul Sarasin und Johann W. Coaz, die sich im 19. Jahrhundert in der Schweiz für Nachhaltigkeit und den Schutz der Wälder engagiert haben, sind dabei ebenso zentral wie Bruno Manser, Armin Caspar oder Anita Guidi, Schweizer Aktivistinnen und Aktivisten des 20. Jahrhunderts, die sich international für die Erhaltung der tropischen Regenwälder und die Rechte der dort lebenden indigenen Bevölkerung einsetzten.
 
Daß das Buch sich aber im wesentlichen mit der Darstellung des Waldes in der Kunst befaßt,  liegt in der musealen Ausrichtung des Projekts. Werke von Ernst Biéler, Peter Birmann, Alexandre Calame, Caspar Wolf, Robert Zünd, Ferdinand Hodler (jener im Gegensatz von Idylle und Raubbau), Ernst Ludwig Kirchner und Christo (u.v.a.) spannen den Bogen vom 18. bis ins 21. Jahrhundert. Indigene Maler aus Paraguay legen mit eindrucksvoller zeitgenössischer Kunst Zeugnis von der akut von Zerstörung und Kolonisierung bedrohten Region des Gran Chaco ab. Historische Dokumente und Fotografien runden das Projekt ab.
 
„Im Wald - Eine Kulturgeschichte“
Katalogs zur Ausstellung „Im Wald - Eine Kulturgeschichte“ in Schweizerischen Nationalmuseum
Mit Beiträgen von Alexander Brust, Noëmi Crain Merz, Monika Gisler, Erwin Koch, Stephan Kunz, Hans Lozza, Daniel Maynard, Pascale Meyer, Ursula und Verena Regehr, Andreas Spillmann, Isabel Zürcher, Stefan Zweifel
© 2022 Scheidegger & Spiess, 119 Seiten, gebunden, ca. 80 farbige Abbildungen und historische Fotografien  -  ISBN-13: 9783039420612
35,- €
 
Weitere Informationen: www.scheidegger-spiess.ch