Außer Spesen nichts gewesen

Donna Leon – „Milde Gaben“

von Frank Becker

Außer Spesen nichts gewesen.
 
Guido Brunettis 31. Fall
 
Vor zwei Monaten starb der Schauspieler Michael Degen, dessen Verkörperung des Vice-Questore Giuseppe Patta in der Reihe der Verfilmungen der Romane von Donna Leon um den venezianischen Commissario Brunetti in jedem der Filme seit 2000 ein Glanzlicht war. In Donna Leons jüngstem, soeben im Zürcher Diogenes Verlag erschienenen 31. Brunetti-Roman kommt Giuseppe Patta nicht vor. Mit dem Tod seines charismatischen Darstellers – viele hielten ihn übrigens für den interessantesten Charakter der Bücher und Filme – scheint die Figur obsolet geworden zu sein. Wohl auch deshalb verwundert es nicht, daß die Reihe der Verfilmungen schon zuvor aus anderen Gründen eingestellt wurde.
 
Ob dieser cineastische Hintergrund möglicherweise auch der Feder der Autorin den Schwung genommen hat, mag ich nicht beurteilen. Fest steht aber, daß Commissario Guido Brunettis 31. Fall zu den wenigen Romanen der Reihe gehört, die sich nicht mit erfolgreichen Titeln wie „Wie durch dunkles Glas“, „Das Mädchen seiner Träume“, „Schöner Schein“, „Tierische Profite“, „Endlich mein“, „Ewige Jugend“, „Stille Wasser“, „Heimliche Versuchung“, „Ein Sohn ist uns gegeben“ oder „Flüchtigs Begehren“ messen kann.

Denn  die Geschichte um Elisabetta Foscarini, Jugendfreundin von Brunetti und immer noch eine Schönheit, die eines Tages in der Questura auftaucht, um Brunetti um Ermittlungen jenseits der offiziellen Kanäle zu bitten. Es geht um familiäre Angelegenheiten, die einen Hauch von Kriminalität haben könnten. Konkrete Hinweise auf eine Straftat aber fehlen. Wer sollte auch einer Tierärztin Böses wollen und einem Buchhalter, der für eine wohltätige Stiftung gearbeitet hat? Brunetti läßt sich aus falsch verstandener Jugendfreundschaft und anstatt die Finger davon zu lassen, auf Recherchen in der Gesellschaft Venedigs ein, die ihn, Commissario Griffoni, Ispettore Vianello und Signorina Elettra in arge Schwierigkeiten bringen könnten.
Es geht um möglichen Spendenbetrug, Untreue und Steuervergehen. Wo eigentlich die Guardia di Finanza zuständig wäre, stochert Brunetti ohne Rücksicht auf die eigene Verwandtschaft in einem Sumpf herum, der ihn nichts angeht. Wieder läßt sich Donna Leon endlos über Gesellschaftskluften, Manieren und Heucheleien aus, wie wir es aus vielen ihrer Romane kennen. Doch der Leser ahnt es bald – früher als Brunetti – daß er Elisabetta Foscarini auf den Leim gegangen ist, die ihn als Werkzeug ihrer eigenen Ziele mißbraucht. Und am Ende: Außer Spesen nichts gewesen.
 
Donna Leon – „Milde Gaben“
Commissario Brunettis einunddreißigster Fall (Roman)
Originaltitel: Give Unto Others
Übersetzung aus dem Amerikanischen: Werner Schmitz
© 2022 Diogenes Verlag AG, 344 Seiten, Ganzleinen mit Schutzumschlag - ISBN-13: 9783257071900
25,- €
 
Weitere Informationen: www.diogenes.ch