„Regenbogen und Gewitterstürme“

Fabian Müller spielt Franz Schubert

von Johannes Vesper

„Regenbogen und Gewitterstürme“
 
Fabian Müller spielt Franz Schubert
 
Von Johannes Vesper
 
Die Musik Franz Schuberts hat Fabian Müller über die „Winterreise“ für sich entdeckt. Liebe, Tränen, Kälte und Erstarrung dieser Lieder aus Schuberts Todesjahr berührten und faszinierten ihn dank früher Aufnahmen von Dietrich Fischer-Dieskau. Im letzten Lebensjahr des mit 31 Jahren jung verstorbenen Franz Schubert entstanden etliche wichtige Werke, zuletzt das Streichquintett in C-Dur und seine letzte Klaviermusik, die 3 Klavierstücke D946, die 3 Klaviersonaten D958-960. Vollendet wurden sie im September 1828, wenige Wochen vor seinem Tod am 19 11. 1828. Auf der vorliegenden CD hat Fabian Müller Schuberts letzte Klaviermusik eingespielt, technisch und musikalisch anspruchsvolle Werke. Auf der Höhe seines Erfolges kurz zuvor hatte der Schott-Verlag den Komponisten gebeten, leichtere Stücke zu komponieren. Die seien in England und Frankreich besser verkäuflich. Ökonomisch war sein einziges öffentliches Konzert im März 1828 sehr erfolgreich. Von Todesahnung und Depression war im September 1828 keine Rede. Die Zeit seiner floriden Syphiliserkrankung lag fünf Jahre zurück. Damals hatte er von „unerhörtem Gram“ und „seines Lebens Martergang“ gedichtet.
 
Fabian Müller empfindet diese Klaviermusik also nicht als eine, die in Erwartung des nahen Todes entstanden ist. Er spürt und läßt den Zuhörer spüren, daß hier ein ernsthafter junger Mann mit Lebenserfahrung seine Seele ausbreitet und versucht, „eigene Gefühle im Angesicht unsagbarer Dinge auszudrücken“ , der im Gegensatz zu Beethoven „nicht mit Titanen kämpft, sondern tröstet“, und der gar vom 4. Satzes der Sonate 21 als einem „Partystück“ spricht. Aktuell im gleichen Alter wie Schubert, als er diese Musik komponierte, äußert sich der 31jährige Pianist über diese Kompositionen im Gespräch mit Malte Hemmerich (siehe Beiheft) und setzt bei dieser Aufnahme seine eigenen Empfindungen und Analysen in bemerkenswerter Weise musikalisch um. Bei der Komposition dieser Werke scheint jedenfalls an eine schickalbestimmende Erkrankung noch nicht gedacht worden zu sein. Schubert hatte sich soweit bis auf gelegentliche Kopfschmerzen und Schwindel ziemlich wohl gefühlt. Noch Anfang Oktober 1828 wanderte er mit Bruder Ferdinand und zwei Freunden ca. 70 km von Wien nach Unter-Waltersdorf zum Grabmal Josef Haydns. Erst Ende Oktober erkrankte er mit Übelkeit und Appetitlosigkeit, wurde am 14.11. bettlägerig und fiel am 17.11. abends in ein Fieberduell, in welchem er verstarb.
 
Die drei Klavierstücke Op. 946 stellen neben Tänzen, Impromptus und Sonaten ein weiteres Genre Schubertscher Klaviermusik dar. Die Bezeichnung stammt von Johannes Brahms, der sie erst 1868 zum ersten Mal herausbrachte. Sie bieten in ihrer Kürze eine facettenreiche Sammlung Schubertscher Stimmungen, wozu auch angedeutete, österreichische Folklore gehört. Im c-Moll Allegro assai drängt ernst und geschwind das Hauptthema mit punktiertem Auftakt und nervösen Triolen im 2/4 Takt voran, bevor im nachdenklichen Andante ruhige Besinnlichkeit Raum greift und sich mit improvisatorisch anmutender Ziellosigkeit entwickelt. Wiederholungen verschleiern die Struktur des Stückes. Lyrisch anmutig beginnt das 2. Allegretto in Es-Dur, bis aufgewühlt, erregt in c-Moll Erlkönig zu grüßen scheint.
 
Und die A-Dur-Sonate D959 beginnt mit Akkord und Stakkato-Oktavsprung in die Tiefe. Dreimal pocht das Motiv an, bei den Wiederholungen mit 1/8-Auftakt, bevor der Satz mit abwärts perlenden Triolen - Wassertropfen in der Sonne - Fahrt aufnimmt. Die musikalischen Gedanken atmen bei diesem Klavierspiel intensiv und mit erstaunlichen Temposchwankungen, die den Zuhörer in den Bann schlagen. Das lyrische 2. Thema kann sich gegenüber aggressiv eingestreuten Triolen zunächst behaupten. Mit Präsenz und Temperament werden die Stimmungen gespiegelt. Schumann sprach in seinem Tagebuch von romantischen Regenbögen und aufbrechenden Gewitterstürmen. Nach einer Generalpause erinnert der fallende Auftaktoktavsprung an den Anfang. Inzwischen ruhigere Triolen enden mit einem ersten Akkord. Nach Fermatenpause führen erneute Triolen zu einem Trugschluß und erst im 3. Versuch kommt der Satz im pp zu Ende. Herrlich auch das frische saltatorische Scherzo, dessen sommerlich-sonnige Stimmung allerdings gelegentlich durch finsteren ff-Akkord, eingeworfene Sechzehntel- und Triolenpassagen gestört wird. Im lyrischen Trio erscheint wieder der Oktavsprung des Beginns, hier allerdings aufsteigend. Und im letzten Rondo dann wandert das versöhnliche, gesangliche Thema dieses Satzes durch die Lagen, erscheint im Diskant, im Baß, als Mittelstimme, in Dur und in Moll. Fabian Müller spielt mit Geist und Empfindung diese Bilder und Farben. Der Pianist spricht von der Schönheit der Melodie und des Lebens, von Zärtlichkeit, Demut und spielt delikat wie zupackend, machtvoll, brillant und virtuos. Diese Aufnahme der beiden 31jährigen nimmt den Zuhörer gefangen.
 
Fabian Müller plays Franz Schubert
© 2021 Berlin Classics / Edel  (2 CD)
CD 1 Drei Klavierstücke D946: 1 Allegro assai, 2. Allegretto, 3 Allegro. Sonate in c-Moll Nr. 19 /D958: 4. Allegro, 5 Adagio, 3 Menuetto, Allegro, 7 Allegro. CD 2 Sonate in Ad-Dur, Nr. 20 D959: 1 Allegro, w. Andantino, 3 Scherzo. Allegro vivace, 4 Rondo Allegro. Sonate in B-Dur, Nr. 21 D960: 5. Molto moderato, 6. Andante sostenuto, 7. Scherzo. Allegro vicace con delicatezza, 8. Allegro, ma non troppo. TT 73:35 . 21.99 €
 
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