Deutsche Spione Ost

Henry Nistchke – „An der unsichtbaren Front“

von Frank Becker

Deutsche Spione Ost
 
Eine Bilanz der Tätigkeit von MfS und HV A
 
Daß die Hauptverwaltung A (HV A), der Auslandsnachrichtendienst der DDR und operativer Teil des Spitzelsystems des trotzdem nur kurzlebigen ostdeutschen Staates von Sowjet-Gnaden „eindeutig einer der Top-Auslandsgeheimdienste der Welt“ (Hansjörg Geiger) war, bleibt unbestritten. Seine Effektivität hatte dieser deutsche Nachrichtendienst vor allem dem Umstand zu verdanken, daß es zum einen keinerlei Sprach- und Kulturbarrieren zwischen den beiden deutschen Staaten gab, zum anderen die Grenze zwischen beiden Systemen nur in Richtung Westen durchlässig war, während in der DDR und an ihren Grenzen ein tödliches Grenzsicherungssystem bestand und des weiteren die Bundesrepublik Deutschland aufgrund ihrer Liberalität und – zugegeben – Arglosigkeit ein offenes Tummelfeld für Ost- und andere Spione war. Wie sonst hätte der Top-DDR-Spion Günter Guillaume persönlicher Referent des Bundeskanzlers Willy Brandt werden können? Die sogenannten Inoffiziellen Mitarbeiter (IM) drangen weit in die gegnerischen Zentren und Objekte im Operationsgebiet, vor allem der Bundesrepublik Deutschland, ein. Die IM waren dabei die entscheidende Kraft und agierten als »Hauptwaffe«.
 
Während der deutsche Staat West nach 1945 mit Hilfe und durch Initiative der amerikanischen Besatzungsmacht aus den verbliebenen Resten des NS-Spionage-Apparates (Organisation Gehlen) auf dessen Fundament den neuen Auslandsgeheimdienst BND (Bundesnachrichtendienst) aufbaute, tat der deutsche Staat Ost das gleiche mit durch die Kaderschulen des Sowjet-Kommunismus gegangenen Genossen und – so der Autor des Buches „An der unsichtbaren Front“, Henry Nitschke – ehemaligen Widerstandskämpfern gegen das NS-System. Das klingt sehr idealistisch, denn längst wissen wir aus der Geschichte der DDR, daß auch dort NS-Funktionäre als Wendehälse überlebten und in staatliche Positionen gelangten.
 
Henry Nitschke schlüsselt in seinem 765 Seiten starken Buch den Aufbau und die Arbeitsweisen des MfS und der HV A in der Bundesrepublik und anderen westlichen Staaten mit Zeitzeugenberichten und Fallbeispielen auf. Er beschreibt detailliert die Methoden, mit denen Ost-Spione als „Übersiedlungs-IM“ in die West-Gesellschaft geschleust, seßhaft gemacht und in wichtige Funktionen gebracht wurden, sowie die Gegenarbeit der westlichen Geheimdienste wie die Bundes- und Landesämter für Verfassungsschutz, des BND und des MAD. Man wird allerdings bei der Lektüre den Verdacht nicht los, daß Nitschke (ein Pseudonym, wieso eigentlich?) Sympathien für das MfS und seine Arbeit hegt, sogar ein wenig stolz darauf zu sein scheint, so sachlich er sein Werk auch abgefaßt hat. Die gerne zitierten Markus Wolf, Werner Großmann, natürlich Günter Guillaume und einige andere ehemalige StaSi-Verantwortliche erscheinen etwas zu idealisiert. Nicht erwähnt werden Gegenstimmen, wie z.B. die der von Markus Wolf nach ihrer Verhaftung im Westen im Stich gelassenen Top-Spionin Gabriele Gast.
 
Was dem umfangreichen Buch leider fehlt, sind ein ordentliches Gesamt-Quellenverzeichnis sowie ein für einen solchen Band unverzichtbarer Personenindex. Lesenswert ist es aber allemal.
Als ergänzende Lektüre zum Thema empfiehlt sich „Der Schatten im Schatten“ von Beatrice Altman-Schevitz, die darin ihr Leben als Amerikanerin und MfS-Spionin (Kundschafterin des Ostens) im Kalten Krieg erzählt.
 
Henry Nistchke – „An der unsichtbaren Front“
Inoffizielle Mitarbeiter der MfS-Auslandsaufklärung
© 2021 BEBUGmbh / edition berlina, 765 Seiten, gebunden – ISBN: 978-3-95841-115-9
29,99 €
 
Beatrice Altman-Schevitz - „Der Schatten im Schatten
Mein Leben als US-Amerikanerin und MfS-Spionin im Kalten Krieg
© 2022 BEBUGmbh / edition berlina, 332 Seiten, gebunden, einige Fotos und Zeichnungen – ISBN: 978-3-95841-117-3
19,99 €
 
Weitere Informationen: www.buchredaktion.de  und  www.bild-und-heimat.de