So weit die Füße tragen

„Rose und Regen, Schwert und Wunde - Ein Sommernachtstraum“ Ein Stück von Beat Fäh im Remscheider WTT

von Frank Becker

Westdeutsches Tournee Theater
So weit die Füße tragen...
 
„Rose und Regen, Schwert und Wunde -
Ein Sommernachtstraum“



Ein Stück von Beat Fäh -
recht frei nach einem gewissen Herrn S.
 
Wolfgang Eysold inszeniert im Remscheider WTT mit leichter Hand
 
Premiere am 20.9.2008 im Teo Otto Theater
 
Regie: Wolfgang Eysold    Ausstattung: Helmut Pock  -  Technik: Dennis Bröhl, Peter Strieder, Oliver Greif  -  Fotos: WTT
Puck/Herr S.: Thomas Ritzinger  -  Hermia: Pascale-Viviane Flückinger  -  Helena: Verena Sander  -  Lysander: Björn Lenz  -  Demetrius: Daniel Thierjung 
 

Shakespeare, mal anders...


Eine Bühne (Helmut Pock), leer bis auf zwei Stühle und eine mannshohe blaue Kugel auf komplementär orangefarbenem Boden. Geisterhaftes Licht und ein paar Takte aus Jean-Michel Jarres „Oxygen“. Einstimmung auf eine verwunschene Nacht im Wald bei Athen, die das Leben zweier Paare ordentlich durcheinander würfelt, doch schließlich wieder alles ins rechte, ja bessere Liebeslot bringt. Das Westdeutsche Tournee Theater (WTT), im Rahmen seiner Kooperation mit dem Remscheider Teo Otto Theater für die Premiere zu Gast in dem charmanten 50er-Jahre-Haus, stellte eine Shakespeare-Komödie vor, die jeder zu kennen glaubt, die hier jedoch – nicht zuletzt durch Wolfgang Eysolds leichte Hand - ein ganz anderes Gewicht bekommt.

Abgespeckt, wortgewandt und amüsant

In der abgespeckten Bearbeitung von Beat Fäh nämlich, ohne mythologischen Ballast und unter

Daniel Thierjung, Pascale-Viviane Flückinger, Björn Lenz, Verena Sander
Verzicht auf den moralisierenden Zeigefinger, mit reduziertem Personal und dennoch vollständig, wird das Stück über die Verwirrung liebender Seelen zur modernen Screwball-Komödie auf dem Boden englischer Renaissance. Mendelssohns Bühnenmusik: gestrichen. Oberon, Titania und die mystische Ebene: gestrichen. Squenz, Zettel & Co. samt Esel: gestrichen. So, wie Fähs Bearbeitung ein spritziger literarischer Volltreffer ist, wurde die wortgewandte Umsetzung durch das inspirierte Ensemble des WTT ein kongeniales Bühnen-Bonbon.
Wolfgang Eysold führt seine Darsteller elegant und zielsicher in das Gewirr der Gefühle, das er ebenso brillant wieder auflöst. Hermia (Pascale-Viviane Flückinger) liebt Lysander (Björn Lenz). Helena (Verena Sander) liebt Demetrius (Daniel Thierjung). So weit so gut. Doch Demetrius erhebt Anspruch auf Hermia, die ihm versprochen ist und verachtet die Liebe Helenas. Schlecht. Was tun? Hermia und Lysander fliehen, um heimlich zu heiraten. Helena offenbart den Plan Demetrius, um bei ihm Punkte zu sammeln. Dumm. Denn nun eilt dieser den Fliehenden nach. Es kommt zu einer turbulenten Nacht im nebelumwaberten Wald, in deren Verlauf  Puck eingreift.

"Blablabla..." - Herr S. und sein alter ego


Thomas Ritzinger ist Herr S.
Den Puck („Ich bin der Gnom, der Geist, der Schatten...“), einen Geist, der stets das Gute will, doch Chaos schafft, hat Herr S. (Thomas Ritzinger), der das Geschehen fortlaufend kommentierend auf der Bühne begleitet, erfunden, weil ihm sein eigenes Stück so mächtig gut gefällt und er es mit noch ein wenig mehr Schabernack ausstatten möchte. Ritzinger scheint diese Doppelrolle (nebenher gibt er noch en passant den Egeus, den Theseus und die Hippolyta) auf den Leib geschrieben. Hier kann er alle Register des Komödiantischen ziehen und tut es mit Pfiff und Bravour. Als Herr S. offenbart er seine Schreibroutine mit wippender Pfauenfeder und lässigem „Blablabla...“, mit einem Griff in die pomadisierten Haare zum Puck geworden kobolzt er über die Bühne und um die Kugel, den Nucleus mundi herum. Unvergessen wird sein schier endloser Marsch durch den Wald auf der Suche nach den Liebenden bleiben, die er mit Hilfe von Zaubertropfen „umdrehen“ will. Allen Formen von Schwung, Elan und Ermüdung, Erschöpfung und gähnender Langeweile bis zum angeödet sein, gibt Ritzinger so köstlich Gestalt, daß er dabei wie auch sonst durchweg die Lacher hat. Er ist, so jung er ist, ein Schauspieler vom alten Schrot und Korn, ähnlich Verena Sander, die den zauberhaften, verliebten Athener Trampel Helena mit wippender Locke temperamentvoll-saftig und ganz köstlich gibt – wer wollte nicht so geliebt werden? Demetrius jedenfalls nicht, doch auch er wird sich fügen, Puck und Herr S. wollen es so.

Der Griff nach dem Beinkleid

Derweil rennen erst die Damen den Herren bis zur Selbstverleugnung nach („Dein Tun ist Unrecht

Lysander nervt Helena - Verena Sander, Björn Lenz
gegen mein Geschlecht!“), zieren sich Hermia und Helena in fürchterlichen Kleidern (die müßte der zur Strafe tragen, der sie entworfen hat) akkurat zum falschen Augenblick, werden die Herren mit Zaubertropfen aus einer Blume der Nacht in die jeweils falsche Partnerin verliebt gemacht, worauf  die Kerls liebestoll sabbernd auf den Knien kriechen (weiblicher Kommentar aus dem Publikum: „So sieht das schon besser aus!“) und zweifelt Helena an ihrem Verstand. Alle legen im nächtlichen Forst etliche Meilen zurück, was zu verständlicher Müdigkeit und dem tiefen Schlaf führt, der die homöopathische Intrige ermöglicht. Wolfgang Eysold fallen dabei immer neue kleine Späße ein, sei es die unkriegerische Nutzung der Schwerter, Hermiens schlaftrunken doch zielsicher suchende Hand, Helenas wollüstiger Griff nach Demetrius´ Beinkleid oder die immer wieder aufschimmernde Magie der Blauen Kugel. 


...ganz in Shakespeares Sinn


Verena Sander, Daniel Thierjung

Pascale-Viviane Flückinger, Björn Lenz
Jeder kriegt, was ihm gehört, auch die Zuschauer: da gibt es heftige Hahnenkämpfe, witzigen verbalen Schlagabtausch, ein burleskes Gefecht der Streithähne, zu dem Puck die Schwerter „aus dem Ärmel zieht“, eine ordentliche Weiberrauferei ganz in Shakespeares Sinn, Situationskomik, höhere Albernheit und viel, viel Liebe und Küsse. Doch es gibt ja zum Glück eine zweite Zauberblume, die den Effekt umkehren kann. Mit der rettet Puck die Situation, die Paare finden zueinander und Demetrius wird, hier setzt Puck das Ränkespiel fort, zu Helenas bravem Schoßhündchen. „Wer diesen (Sommernachts-) Traum erklären will, ist doch wirklich ein Esel“.
So wollen wir Theater. Bravo!
 
Weitere Informationen, auch über die kommenden Vorstellungen unter:  www.wtt-remscheid.de

 
Eine kürzere Fassung dieser Kritik erschien bereits am 23.9. im Remscheider General Anzeiger