Als filmen noch ein Abenteuer war…

Papa filmt! – Eine Familiengeschichte auf Super 8

von Frank Becker

Als filmen noch ein Abenteuer war…
 
Papa filmt – Eine Familiengeschichte auf Super 8
 
Heute zückt nahezu jeder Smartphone-Besitzer bei jeder passenden oder sehr oft auch völlig unpassenden Gelegenheit sein hochtechnisiertes Taschentelefon, um damit wahllos herumzufilmen und das Gefilmte ohne ein Gefühl für Sensibilität oder Rücksicht auf Persönlichkeitsrechte ins Internet zu stellen. Hier erleben wir im Extremen die Unkultur filmischer Aufzeichnungen.
 
Ganz anders war das in den Anfängen des privaten Filmens, als das noch kostspielig war und im wesentlichen der Dokumentation des Familienlebens und der eigenen Freizeitgestaltung galt. Der Kölner Amateurfilmer Heinz Terhag hat seit den frühen 1950er Jahren das Leben seiner Familie mit Ehefrau, zwei Söhnen und einer Tochter, mit Eltern und Schwiegereltern gefilmt. Dazu war natürlich eine Kamera notwendig. Eine teure Entscheidung, denn dafür mußte die Familie erst mal auf eine Waschmaschine verzichten. Filmen war zu dieser Zeit ein aufwendiges, kostspieliges Hobby, eine Super 8 Farbfilm-Kassette mit drei Minuten Film kostete 25,- Mark! Da mußte jede gefilmte Sequenz zuvor geprobt werden, damit sie ohne Materialverlust sauber im Kasten war.

Der Kölner Dokumentarfilmer und Filmproduzent Wolfgang Dresler hat über 100 der Privatfilme aus dem Archiv der Familie Terhag gesichtet und die mit Sorgfalt und Liebe gemachten 8mm-Filme zu einer kompakten Familien- und Zeitchronik so zusammengestellt, daß jeder Zeitzeugen der 50er bis 80er Jahre quasi die eigene Vergangenheit mit ihren alltäglichen Dingen noch einmal erlebt.
Ob es die noch leeren Straßen Kölns sind, denen noch die Zerstörung durch den Krieg anzusehen ist, ob es die wenigen Autos, die Familienfeste, der Karneval, Wohnungseinrichtungen (Tapeten, Vorhänge – herrlich!), Einschulungen und Abiturfeiern, ene Besuch im Zoo oder kleine Ausflüge z.B. zur Kölner Bundesgartenschau und in der Renault Dauphine von Freunden sind, alles hat Erinnerungswert. Auch daß die Terhags, die sich in und mit Nachbarschaftshilfe 1954/55 ihr Eigenheim gebaut hatten, erst 1964 die erste Urlaubsreise mit der Eisenbahn unternehmen konnten, ist aufgezeichnet: Es ging nach Engelskirchen ins Bergische Land, für alle eine spannende Reise, während heute die Leute jammern, daß sie wegen Corona ein Jahr lang nicht nach Malle oder auf die Malediven fliege konnten. Die sollten sich den Film gerne mal anschauen, um Bescheidenheit zu lernen – meint der Rezensent. Was für einen Glanz brachte der erste eigene knallrote VW Käfer ins Leben!
 
Interviews mit allen Familienmitgliedern runden das sympathische Porträt einer friedlichen bürgerlichen Welt ab – von der Wirtschaftswunderzeit mit aktuellen Abstechern bis heute. Eine Zeitreise von mehr als anderthalb Stunden durch 40 Jahre Alltagskultur.
In drei angehängten Kurzfilmen erleben wir die Familie von Frau Terhag 1960, eine bedrückende Reise nach Leningrad und Moskau 1984 und sehen Bilder aus dem noch geteilten Berlin 1986 mit Café Kranzler am Kurfürstendamm / Ecke Joachimsthaler Straße (das auch schon Geschichte ist), der Gedächtniskirche, der „Mauergalerie“ und einer Wannseefahrt.

Papa filmt! – Eine Familiengeschichte auf Super 8
© 2022 Tacker Film, Farbe und s/w., 99 Minuten
Produziert und kommentiert von Wolfgang Dresler und Heinz Terhag
 
Die DVD ist ab April im Handel - eine gute Idee für ein Geschenk zu Ostern!

Weitere Informationen: www.tackerfilm.de