das mollsche gesetz

zu Gehör gebracht im "ort"

von Katrin Kunze

© Klaus Untiet

19. September 2008 -  20 Uhr
 „das mollsche gesetz“:

Udo Moll/Trompete, Harmonium und Live-Electronics, Matthias Muche/Posaune, Sebastian Gramss/Bass, Melodica und Raagini, Melodica

präsentieren mit Gästen ein Programm unter dem Titel „catalogue of improvisation“. 

Das Trio gründete sich im Sommer 2004 als improvisatorisches Forschungsprojekt. Die beiden maßgeblichen Gesetze, die seither gelten, lauten:

1. Kein Stück dauert länger als 60 Sekunden.
2. Auf jedes Stück folgt eine Pause in der selben Länge des zuvor gehörten Stücks.
Diese ebenso einfachen wie radikalen Regeln verändern die Art und Weise, wie Musik entsteht, aber auch wie sie vom Publikum wahrgenommen wird, massiv. Auf der Bühne fordert dieses Format größtmögliche Klarheit, Pointierung, schnelle Entscheidung - im Auditorium fordert es eine starke Fokussierung auf den Moment und erhöht die Irritierbarkeit als Schärfung der Sinne. Die Pausen laden dazu ein, den Fokus von ganz scharf auf unendlich zu stellen, sie sind die Resonanzräume in der Zeit.

Raoul Mörchen (WDR) schreibt über catalogue of improvisation: "Um wenig wurde in der Musik so viel Lärm gemacht wie um die Stille. Dabei gibt es sie eigentlich gar nicht. John Cage selbst, der 1952 mit seinem berühmten 4’3’’ die ganze Diskussion erst angestoßen hat, bemerkte in einem vermeintlich schalltoten Raum, daß er immer noch das Brummen seines Blutkreislaufs und das leichte Pfeifen seines Nervensystems wahrnehmen konnte. So ist denn auch schon 4’33’’, die Mutter aller musikalischen Stillen, ganz und gar nicht lautlos. Während ein Musiker auf der Bühne 4 Minuten und 33 Sekunden keinen einzigen Ton spielt, hört man eine ganze Menge: Den eigenen Atem, eine Klimaanlage vielleicht, das Rascheln neben und das Husten hinter einem. Stille ist eine Idee, kein Zustand. Daran kann auch Autorität nichts ändern. Udo Moll, Matti Muche und Sebastian Gramss (...) lassen sich auf ermüdende Grundsatzdebatten klugerweise gar nicht erst ein. Wenn, so der erste Paragraph des Gesetzes, maximal 60 Sekunden lang Musik gemacht wird, folgt, so sagt der zweite Paragraph, eine gleich lange Pause. Und eben keine Stille. Die Musik hört einfach auf und wartet. Oder besser: sie schweigt. (...) Wenn Moll, Muche, Gramss und ihre Gäste nach kurzer Tat die Instrumente absetzen, wird man vielerlei gewahr. Zunächst wohl, wie lang eine Minute sein kann. Vor allem dann, wenn man wartet, wartet auf das nächste Stück. Das gesetzlich verordnete Schweigen ist gleichwohl alles andere als vertane Zeit, sie ist, wenn man so will, gänzlich erfüllt, nämlich mit Nachhall und Erwartung: was war gerade, was mag kommen? (...) Der Freiraum, den das Gesetz den Musikern zur eigenen Gestaltung gewährt, scheint, anders als im Fall der Pause, jedoch verhältnismäßig eng bemessen. Nicht mehr als 60 Sekunden pro Stück, zu wenig, um Musik zu machen? Mitnichten, wie man hört! Mit und in 60 Sekunden kann man sehr viel anstellen, allein oder zu zweit, dritt, viert oder fünft hier und dorthin gehen, sich lange vorsichtig beschnuppern oder gleich gemeinsame Sache machen. Und man kann all das sogar tun, ohne sich zu hetzen. Moll und seine Gesetzeshüter sind nirgends in Eile. Man ist eher überrascht, wie viel Zeit sie sich lassen, obwohl doch scheinbar so wenig nur genehmigt wird. Vielleicht, so mag man in einer der vielen Pausen denken, ist der freie Mensch und Musiker ja gar nicht der, der ohne Gesetze lebt. Sondern der, der sich im Gesetz so bewegt, als gäbe es gar keins."


Bisherige Programme:
Haikus aus dem Werkzeugkasten mit Oliver Urbansky (Berliner Ensemble) für Deutschlandradio Kultur (2005) in Berlin
Heines Sklavenschiff mit Matthias Scheuring (Sprecher), Orozco/Negron (Videokunst) für das Heine-Schumann-Jahr 2006 , Kunsthalle Düsseldorf
Köln-Wien-Beirut beim Moers-Festival 2006
REDUX, Bearbeitungen von Beethoven, Schumann, Messiaen, für das FRISCHZELLE-Festival 2006 in Köln und Bonn (Beethovenfest), gefördert von SK-Stiftung Kultur
catalogue of improvisation 2007, eine 6-teilige Konzertreihe mit den Gästen Maria de Alvear, John Tilbury, Elliott Sharp, Wolfgang Mitterer, Sidsel Endresen, institut für feinmotorik, gefördert u.a. von Deutscher Musikrat & Siemens-Stiftung; eine Dokumentation (CD mit Katalog) erscheint 2008 bei wergo
ZOA - redefining William Blake’s Jerusalem, mit Wolfgang Mitterer (Orgel) und Orozco/Negron für altstadtherbst kulturfestival düsseldorf 2007
 
ort, Luisenstraße 116, 42103 Wuppertal