Freundschaftsanfrage No 1

des Von der Heydt Museums Wuppertal bei Hans-Christian Schink

von Johannes Vesper

Zwischen Lemmersdorf © Hans-Christian Schink

Freundschaftsanfrage No 1

des Von der Heydt Museums Wuppertal
bei Hans-Christian Schink
 
Von Johannes Vesper
 
Da die eigene Sammlung nie vollständig ausgestellt werden kann, wurde, um mehr davon sichtbar zu machen, jetzt zum ersten Mal eine Freundschaftsanfrage gestartet. Das klingt nach sozialen Medien, hat aber damit gar nichts zu tun. Die Idee dahinter besteht darin, renommierte Künstler einzuladen, die sich mit dem exquisiten Bestand des Von der Heydt-Museums auseinandersetzen wollen. Als erster wurde der Fotograf Hans-Christian Schink, 1961 in Erfurt geboren, eingeladen, der sich fotografisch vor allem mit Landschaften beschäftigt und damit beim von der Heydt-Museum fündig wurde. Denn Landschaften, vor allem die Landschaftsmalerei des 19. Jahrhunderts, wurden schon vom ersten Leiter des Museums Dr. Friedrich Fries bevorzugt gesammelt, als das alte Elberfelder Rathaus nach Fertigstellung des neuen am Neumark als Museum eingerichtet wurde. Hans-Christian Schink, studierte Fotografie an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst von 1986-1993 und erhielt zahlreiche Stipendien und Preise. Einzel- und Gruppenausstellung machten ihn bis hin nach Los Angeles, Argentinien und Japan bekannt. Bei seinem Aufenthalt in Los Angeles entdeckte er die Faszination des Lichts für seine Fotografie. Von ihm werden in der Ausstellung 39 Fotografien und 33 Landschaften des 19. Jahrhunderts (darunter acht Grafiken) aus der Von der Heydt-Sammlung korrespondierend gezeigt. Der Fotograf hat in den letzten 30 Jahren vorwiegend analog fotografiert. Für ihn sind die Motivauswahl und die Berücksichtigung des Lichtes vor Ort von großer Bedeutung. Er macht tatsächlich Bilder und wählt sie nicht nur nicht aus der Fülle vorsorglich geschossener, digitaler Bildserien aus.
 
So sieht man also zwei Werke von Ferdiand Hodler (Thuner See mit Stockhornkette 1910/11, Le Grand Muveran 1912) neben den Bildern aus zwei leeren Büros, an deren heller Wand die Deckenbeleuchtung weiße Lichtgebirge „malt“. Die Abstraktion der Fotos überschreitet weit die in den Gemälden aber auch schon angelegte.
 

Ferdinand Hodler, Thuner See mit Stockhornkette © Von der Heydt-Museum

 
Büro © Hans-Christian Schink

Im nächsten Raum werden italienische Landschaftsgemälde von Carl Rottmann, Heinrich Bürkel, Oswald Achenbach Friedrich Nerly und Heinrich Reinhold eigenen Fotografien des Künstlers aus Rom gegenübergestellt, die er während seines Stipendiaten-Aufenthaltes in der Villa Massimo (2014) aufgenommen hat. Mittels google earth hatte er den Verlauf der altrömischen Wasserleitung Aqua Claudia aus dem 1. Jahrhundert n. Chr. erkundet und fotografiert, immer am frühen menschenleeren Morgen vor Sonnenaufgang. Da tauchen die antiken Bögen auf den Wiesen vor Rom mit hohen Pinien auf, verlaufen in der Stadt in unmittelbarer Nachbarschaft teilweise herunter gekommener und mit Graffiti versehener banaler Gebäude, fast ohne Farbe immer unter neutralem Himmel. Die moderne Stadtlandschaft wurde hier ganz anders gesehen als die farbigen, gemalten Himmel und Landschaften des 19. Jahrhunderts.
 
 
 Parco degli Acquedotti © Hans-Christian Schink

 
Oswald Achenbach, Pinien um 1850 © Von der Heydt-Museum

Im folgenden kleinen Raum wird eine kleine exquisite Sammlung impressionistischer Malerei (Alfred Sisley, Georges Seurat, Vincent van Gogh und Paul Cezanne mit der bekannten Eremitage von Pontoise neben zarten aquarellierten Bleistiftzeichnungen) einem Foto von Schink gegenübergestellt: einer Dorfstraße in japanischem Winter (2009). Die Sehgewohnheiten ändern sich bei einer solchen Hängung.
 
Die meisten Fotos entstanden 2014-19 im dünn besiedelten Brandenburg und Mecklenburg Vorpommern: verschneite Wälder und Bäume, alte Gemäuer, Strohballenarchitektur industrieller Landwirtschaft, Silos, zartblaue Lupinenfelder vor dunkelgrünem Wald, Wiesenteiche mit Kühen, lange Hügel mit der Struktur frisch gepflügter, brauner Äcker oder grün bepflanzter Felder. Auch auf diesen Bildern der Serie „Hinterland“ tauchen keine Menschen auf. Gegenüber hängen herrliche Landschaften von Courbet, John Constable, Camille Corot und anderen. Der Fotograf erzählte, wie er dank seiner Fotos die unspektakuläre Landschaft dieser Region schätzen gelernt hat. Inzwischen wohnt er im Bereich der Mecklenburger Seenplatte.
 

1h Projekt © Hans Christian Schink


Hans-Christian Schink und Edvard Munch - Foto © Johannes Vesper

Spektakulär sind seine 1-Stundenbilder: Analoge Aufnahmen mit einer Belichtungsdauer von jeweils einer Stunde. Bei dieser extremen Überbelichtung nimmt die Schwärzung des Filmmaterials zu, bis sie bei Überschreitung einer Belichtungsgrenze auch wieder etwas abnimmt. Durch diese Solarisation erscheint die Sonne entsprechend ihrem in dieser Stunde zurückgelegten Weg als schwarzer Strich am Himmel vor unbestimmter, wolkig strukturierter menschenleerer Landschaft, grauem Meer und grauem Himmel. Über diesen apokalyptischen Landschaften wird die Sonnenbahn zum schwarzen Ausrufezeichen oder zur am Himmel hängende Rakete. Das Phänomen der Solarisation ist bereits in der Fotografie des 19. Jahrhunderts beobachtet worden. Aufgenommen wurden auch diese s/w Bilder mit zwei nebeneinander stehenden Großformatkameras (Serie ich, 2003-2010) früh morgens an unbestimmtem Ort (z. B. in Neuseeland), von dem immerhin die Koordinaten angegeben sind. Erstaunlich, welche Strukturen und Helligkeitsdifferenzen das überaus dunkle Filmmaterial nach so langer Belichtung noch ermöglicht. Diese eigentümlichen Fotografien korrespondieren zur geheimnisvollen „Sternennacht“ Edward Munchs oder zur „Steilküste von Étretat“ Gustave Courbets.
 
In diesem geteilten vorletzten Raum sind aus der Entfernung vorbei an der raumtrennenden Trennwand die ganz neuen Unterwasserfotos zu sehen, die er vom Kahn aus mit seiner wasserdicht verpackten Kamera in die Tiefe Mecklenburger Seen geschossen hat. Welch eine unbekannte geheimnisvolle Welt in Untiefe, die dem unbewaffneten Auge verborgen bleibt!
 

Bach © Hans-Christian Schink


Otto Modersohn, Mondaufgang im Moor © Von der Heydt-Museum

Zuletzt dann riesige Fotografien aus den Tropenwäldern Vietnams aus dem Jahre 2005, die dem Mondaufgang im Moor von Otto Modersohn und der Winterlandschaft bei Modenschein von Edward Munch gegenüber gehängt sind. Die Einzelhängung der beiden Gemälde auf großer weißer Wand verschafft ihnen die Aufmerksamkeit des Betrachters, die ihnen zusteht. Tatsächlich führt diese Konfrontation der Sujets zu einer neuen, anderen Wahrnehmung bekannter Bilder. Die Serie aus den Tropenwäldern Vietnams wurde übrigens mit Hilfe der Robke Stiftung für die Fotosammlung des von der Heydt Museums angekauft.
 
Hans Christian Schink, Freundschaftsanfrage No 1 (27.02.-10.07.2022)
wurde kuratiert von Dr. Beate Eickhoff, gefördert von Coroplast und dem Ministerium für Kultur und Wissenschaft NRW.
Zur Ausstellung erscheinen ein Katalog: „Freundschaftsanfrage“ für 12,- € und eine Edition „Unter Wasser“ (Auflage 16 Stück für 750,- €. Außerdem bei Hartmann Books das Buch Hans Christian Schink: „Unter Wasser“, herausgegeben vom von der Heydt-Museum (49,- €)
Von der Heydt-Museum - Turmhof 8 | 42103 Wuppertal - Die Ausstellung wird morgen eröffnet.

Weitere Informationen: www.von-der-heydt-museum.de