Eine Liebe im Herbst

"Geliebter Lügner" - Ein Kammerspiel für zwei große Schauspieler

von Frank Becker
Aus der Hutschachtel
Liebes-Korrespondenz eines Vegetariers mit einer Fleischesserin

Andrea Witt und Bernd Kuschmann glänzten
als Stella Patrick Campbell und George Bernard Shaw
in Jerome Kiltys "Geliebter Lügner"


Premiere
am 13. September 2008

Inszenierung und Bühne: Gerd Leo Kuck - Kostüme: Svenja Göttler - Maske: Barbara Junge-Dörr - Foto: A. Fischer


Zum Tee bei Kuschmanns

Wenn ein Theater über das Glück verfügt, ein so intimes und delikates Stück wie Jerome Kiltys "Geliebter Lügner" durch zwei ebenso brillante Darsteller aufführen zu können, darf es sich glücklich schätzen. Wenn diese beiden dann auch noch annähernd ebenso lange miteinander verbandelt, ja sogar verheiratet sind, wie
die platonisch liebenden Korrespondenzpartner Stella Beatrice Patrick Campbell und George Bernard Shaw einander schrieben, ist das ein besonders rarer Glücksfall - und bei der Wuppertaler Aufführung ein Garantie-Los für den Erfolg der Inszenierung. So geschehen gestern Abend bei der Premiere. Gerd Leo Kuck hat - an zwei Teetischen - mit Andrea Witt und Bernd Kuschmann ein Kammerspiel von hohem Rang erarbeitet, bei dem die beiden Schauspieler nach elegantem Einstieg im fließenden Übergang vom Vorspiel auf dem Theater mit ihren Rollen verschmolzen.

Nach 30 Sekunden rasend verliebt

In 40 Jahren Korrespondenz wurden hin und her Hunderte von Briefen geschrieben, die dank des Umstandes, daß beide alles aufhoben, erhalten geblieben sind. Shaw, der eigentlich prinzipiell nichts aufhob, diese Zeugnisse einer so innigen wie distanzierten Liebe jedoch nie hat wegwerfen mögen, stellte seinen Anteil seiner "Beatricissima", der "Stella Stellarum", als die er sie

Andrea Witt, Bernd Kuschmann - Foto: Wuppertaler Bühnen/A. Fischer
anhimmelte, am Ende zur Verfügung und die Veröffentlichung anheim. Sie sammelte sie in einer Hutschachtel unter ihrem Bett. Posthum wurden sie denn auch veröffentlicht: von Stella M. Beech, der Tochter der Beatricissima, unter dem wenig poetischen Titel «Bernard Shaw and Mrs. Patrick Campbell - Their Correspondence». Der deutsche Titel von Hermann Stresau klingt da schon mehr nach Shaw:
«Ich will mein Spielzeug haben». Herausgeber Alan Dent Shaw beschreibt es so: "Dies sind die Briefe, die - zwischen 1899 und 1939 - ein intellektueller Riese und eine große und schöne Schauspielerin miteinander gewechselt haben, zwei an Geist und Persönlichkeit hervorragende Menschen, die fünfzig Jahre lang die englisch sprechende Bühne beherrschten".
Shaw war ein knappes Jahr mit Charlotte Payne-Townsend verheiratet, als er die Brief-Affäre mit der verwitweten Stella begann. Er betrog so - platonisch, heißt es - seine Frau vier Jahrzehnte lang mit unbeugsamer Konsequenz. Sicher hatte die Verweigerung körperlicher Liebe durch Charlotte ihren nachvollziehbaren Anteil daran. Shaw liebte Stella, bekannte ihr später, daß er sich beim ersten persönlichen Treffen innerhalb 30 Sekunden, da war er schon knapp über 50 - glühend in sie verliebt hatte. Zuneigung auf den ersten Brief hin, Liebe auf den ersten Blick.

Souverän

So wurde der kantige, scharfzüngige Kritiker, der gefürchtete Spötter und Rezensent, der Erfolgsautor und dogmatische Vegatarier zu Wachs vor den Augen seiner Angebeteten, die ihn "Joey" nannte. Bernd Kuschmann gab den weltläufigen Charmeur mit liebeskranken Herzen, doch unbeugsamem Verstand voller Saft und sarkastischem Charme, Andrea Witt zeigte ebendie Größe, die wohl der umschwärmten Schauspielerin nebst ihrer souveränen Haltung zu ihrem Erfolg in Europa und den USA und zum Sieg über den Erfolgsmenschen Shaw verholfen hat. Eine glückliche Fügung, die Gerd Leo Kuck mit leichter Hand umzusetzen und zum zauberhaften Kammerspiel zu gestalten wußte. Ein 80-minütiges Vergnügen offenbar nicht nur für das ausverkaufte Kleine Haus der Wuppertaler Bühnen, sondern auch für die beiden in ihren Rollen aufgehenden Mimen - und ein würdiger, reizvoller Abschied für Andrea Witt, die mit dieser Spielzeit das Ensemble nach 25 Jahren verläßt.

Das ideale Liebesverhältnis geht über die Post

"Das ideale Liebesverhältnis geht über die Post.", wird G.B. Shaw in de Literatur zitiert. Sein Leben gibt ihm wohl Recht. Und: "Ich liebte wie Beethoven und schrieb verrückte Liebesbriefe, von denen viele, wie ich leider sagen muß, mir nicht zurückgeschickt wurden, so daß sie sich nach meinem Tode nicht unter meinen Papieren befinden, sondern statt dessen wahrscheinlich von unbedachten Bewunderern zu meiner größten Bestürzung noch zu meinen Lebzeiten veröffentlicht werden. Mich tröstet einzig der Umstand, daß sie, mögen sie enthalten, was sie wollen - und niemand hat weniger Ahnung von ihrem Inhalt als ich -, nicht einfältiger sein können als die Beethovens." 
Die Jahre 1912-1914 und später noch einmal 1920-1929 sind die intensivsten Briefjahre der beiden mitunter sogar Haß-Liebenden gewesen. 1914 heiratet Stella nach ihrem sensationellen Erfolg als Eliza Doolittle in Shaws "Pygmalion", das er für sie geschrieben hat, George Cornwallis-West, was die Korrespondenz (und die Liebe Shaws) für eine gewisse Zeit, nun, sagen wir: einschränkt. Aber wie zärtlich hat er sie durch die Jahre in seinen Briefen angesprochen: Liebwerteste, Liebste Schwindlerin, Beatricissima, Geliebteste, Allergeliebteste, Liebstes Dummerchen, Nichtswürdig Grausame, Du Kieselherz, Liebe Unvergessene, Weib!, Bellissima Stellissima...

Letzte Briefe


Noch einmal wird die Korrespondenz zwischen der an Ruhm und Erfolg verlierenden - jetzt in kleinen Verhältnissen lebenden, kränkelnden Schauspielerin, die längst wieder allein ist - und dem schon zu Lebzeiten auf den höchsten Gipfeln des gesellschaftlichen und Theater-Olymp angekommenen und zu Reichtum gekommenen Autor aufgenommen. Aus den letzten Briefen: "(...) Ich gewöhne mich allmählich an Armut und Unbequemlichkeit, und sogar an die sehr spürbare Unannehmlichkeit, kein Mädchen zu haben das mir ein paar tägliche kleine Besorgungen abnimmt, und mich am Arm nimmt wenn ich über die Straße gehe...". Stella, (28. Juni 1939) - "Meine liebe Stella, Der Riese ist altersschwach und sein Weib krümmt sich vor Hexenschuß. (...) Das Inszenieren habe ich aufgegeben; ich bin zu alt, zu alt, zu alt." G.B.S. (21. August 1939)
Stella Beatrice Campbell stirbt am 10. April 1940 mit 75 Jahren in Frankreich. Die Hutschachtel mit den Briefen gelangt noch vor der deutschen Besetzung nach England. George Bernard Shaw wird 94 Jahre alt. Er stirbt am 2. November 1950. Die Briefe erscheinen 1952 erstmalig beim Victor Gollancz Verlag in London.


Des Schauspielhaus Wuppertal bietet wegen der starken Nachfrage noch zusätzliche Vorstellungen an. Die Termine finden sie ⇒hier und unter www.wuppertaler-buehnen.de