88 Tasten für junge Hände

Ein neuer Steinway Flügel für die Bergische Musikschule

von Johannes Vesper

von links: Lena Ruocco, Xuanning Cao Ha Anh Nguyen mit Schostakowitsch - Foto © Johannes Vesper

88 Tasten für junge Hände
 
Ein neuer Steinway Flügel für die Bergische Musikschule
 
Von Johannes Vesper
 
Verregnet war dieser Sonntag. Umso mehr freute sich Hausherr und „Stadtbetriebsleiter“ Raphael Amend, daß sich zur Einweihung des neuen Steinway Flügels so viele Besucher eingefunden hatten. Voraussetzung für eine exzellente musikalische Ausbildung sei ein optimales Instrument, welches er unter Assistenz der Pianistin Xuanning Cao vom zunächst verhüllenden roten Tuch mit Schliefe befreite. Zur Einweihung gab es natürlich Musik, deren Reigen eröffnet wurde mit dem „Morgengebet“ für Klavier. Konzentriert, aufmerksam, ausdrucksvoll schlug die junge Pianistin das Publikum in ihren Bann. Beim nachfolgenden Trio für 2 Geigen und Klavier von Dmitri Schostakowitsch ist die Spielfreude der sehr jungen Instrumentalistinnen für jeden zu spüren. Herzlicher Applaus nach Ritardando und Schlußpizzicato. OB Uwe Schneidewind sprach in seinem Grußwort von der Musik als Mut- und Trostspender in diesen bedrohlichen Zeiten und dankte den Tastenpaten. Nur mit deren Spende habe das Instrument angeschafft werden können. Derweil bereiteten sich die jungen Pianisten schon mit Fingerübungen auf dem Oberschenkel auf ihren Auftritt vor. Dank souveränem Blickkontakt unter den geöffneten Flügeldeckeln verfehlte der muntere Ohrwurm seine Wirkung nicht. Die Umbaupausen, notwendig wegen wechselnder Besetzungen, moderierte Raphael Amend elegant, legte Wert darauf, daß gemeinsames Musizieren, also die Kammermusik, für den Instrumentalunterricht an diesem Institut von größter Bedeutung sei. Zu jedem Einzelunterricht könne bei Interesse zusätzlich kostenfrei Ensembleunterricht genommen werden.
 
Beim Prelude für zwei Geigen und Klavier des spätromantischen Komponisten Carl Bohm (1844-1920) war Geigespielen mit Handicap angesagt, wurde doch Luise doch trotz Beinbruchs mit Unterschenkelgips und Gehstützen auf die Bühne geleitet. Durch großen Klang zeichnet sich dieses ernste Trio des Meisters der leichten Muse aus. Zum „Claire de Lune“ kam der Flügel bei komplexer Vollgriffigkeit und perlenden Arpeggien dann richtig zur Geltung. In den Trios für Querflöte, Geige und Klavier wurde die Kammermusik von Mélanie Bonis (1858-1937), die zusammen mit Debussy am Pariser Konservatorium studiert hat, wiederentdeckt. Auch das Trio in gleicher Besetzung von Nino Rota, dem Komponisten zahlreicher Filmmusiken für Fellini und Visconti, erforderte flinke Geläufigkeit. Kein Wunder, daß das Programm dieses Vormittags zum Teil bei „Jugend musiziert“ vorgetragen und Preise gewonnen hatte. Dann ließen Karlo Wenzel, der sich auf die Aufnahme an einer Musikhochschule für Jazzpiano vorbereitet und als Hauptinstrument Jazztrompete spielt, zusammen mit Robert Boden „die Sau raus“: „Armandos Rhumba“ des kürzlich verstorbenen großartigen Chick Corea (1941-2021) für zwei Klaviere bot ein Feuerwerk von Tönen auf mindestens 176 Tasten. Komplexe Jazzrhythmen strahlten direkt in die Füße der Zuhörer.
 
Lutz-Werner Hesse, jetzt Vorsitzender des Förderkreises der Bergischen Musikschule, begrüßte, daß die Musikschule mit diesem neuen Flügel im Bernd-Mischke-Saal endlich eine adäquate Möglichkeit der Darbietung von Konzerten hat und begründete, warum es ein Steinway geworden ist: Steinway sei der Inbegriff des perfekten Flügels weltweit nach Klang, Optik, Haptik. Seine 88 Tasten in einem eleganten Korpus (354 kg!) von 148 cm Breite, 211 cm Länge passen hervorragend in den Konzertsaal und sind ein Erlebnis für jeden, der darauf spielt und der ihn hört. Sein besonderer Dank galt auch den Lehrern der Musikschule, namentlich U. Niemeyer-Slawig und Polymeros Polimeris, die das Projekt der Tastenpatenschaft bewältigt haben, und auch in Coronazeiten mit allen Kollegen per Videoschalte den Unterricht haben soweit wie möglich aufrecht halten konnten.
 

Shergo Bayram und Jim Polimeris - Foto © Johannes Vesper

Zuletzt kündigte er Fabian Müller an, der als einer der begabtesten und erfolgreichsten jungen Pianisten seiner Generation u.a. in der Carnegie Hall, auf dem Klavierfestival Ruhr und in der Elbphilharmonie auftritt. Er ist seit kurzem Professor für Klavier an der hiesigen Musikhochschule auf dem Sedansberg. Bevor er die „Apassionata“, Ludwig van Beethovens Sonate Nr. 23 von 1805, spielte, erzählte er, daß Ludwig mit der gerade vollendeten Sonate im Gepäck zornentbrannt und empört - er sollte vor französischen Offizieren auftreten - in einen Platzregen geraten war, der auch die Notenschrift in Mitleidenschaft gezogen hat. Die Wasserflecken seien auf dem Autografen noch heute zu sehen. Dann also die Apassionata: F-Moll Dreiklang zu Beginn, bald Anklopfen des Schicksals mit pp Stakkato Triole zunächst im Baß. Dabei bleibt es nicht. Reitende Dramatik bricht aus. Alle Themen stürmen leidenschaftlich voran in Moll und in Dur. Da stockt dem Zuhörer der Atem, wenn er hört und spürt, wie exakt, elastisch, kraftvoll, sensibel und zart sich der Pianist mit allen Fasern seiner musikalischen Existenz auf dieses Schlüsselwerk der Klavierliteratur einläßt. Choralartig verbreitet der zweite Satz mit seinen Variationen ausschließlich in Dur eine ruhigere Stimmung, bevor, nach fragendem Innehalten und langem Verklingen seines Schlußtons unter erhobenen Händen, der 3. Satz ausbricht. Orkanartiges Mollgetümmel - kein einziger Lichtstrahl in Dur - ernstes, bedrohliches, hoch virtuoses Seelengewitter emotionaler Zerrissenheit: in aberwitzigem Tempo flogen die Hände mit vollem Krafteinsatz in phänomenaler Technik über die Tastatur. Mehr kann auch aus einem neuen Steinway nicht herausgeholt werden. Sensationell! Stehende Ovationen, Bravorufe des hingerissenen Publikums. Zuletzt fanden sich alle zusammen bei rumänischen Volkstänzen von Bela Bartok in einer eigenen Bearbeitung für zwei Klaviere, Geigen, Querflöte, umfangreiches Schlagzeug. Da wechselte man sich am Klavier ab, rutschte für vierhändige Passagen zusammen auf die Klavierbank. Alle schlugen zeitweise auf die verschiedenen Schlagzeuge: Das reine Vergnügen für alle im Saal. Schlußapplaus, Blumen. „Kultur ist nicht das Sahnehäubchen auf dem Kuchen sondern die Hefe im Teig“, hat Johannes Rau uns mitgegeben. Recht hatte er. Ein wunderbares Konzert ging zu Ende und das Publikum unter Schirmen nach Hause.
 
Es spielten: Xuanning Cao (Klavier) - Lena Ruocco, Ha Anh Nguyen (Violine) - Shergo Bayram und Jim Polimeris (Klavier) - Kim Ly Nguyen (Klavier) - Luise Seebohm, Thu Ha Nguyen (Violine) - Fred Bernhardt (Klavier) - Georg Seebohm (Flöte) - Gianluca Ruocco (Violine) - Veronika Peulic (Klavier) - Karlo Wenzel, Robert Boden (Klavier) - Prof. Fabian Müller (Klavier)