Gewaltig

Elias Grandy dirigiert Maurice Ravel und Jean Sibelius

von Johannes Vesper

Elias Grandy am Pult - Foto © Johannes Vesper

„Kaleidoskop“
 
6. Abonnementskonzert des Sinfonieorchesters Wuppertal in der 159. Saison
 
Von Johannes Vesper
 
13./14. Februar 2022. Historische Stadthalle Wuppertal Sinfonieorchester Wuppertal. Maurice Ravel (1875-1937): ›Le tombeau de Couperin‹, ›Ma mère l’oye‹ ; Jean Sibelius (1865-1957: ›Lemminkäinen‹ op. 22. Dirigent : Elias Grandy
 
Lockt dieses Programm das Publikum bei so schönem Wetter am Sonntagmorgen? Ein „zauberhaftes Kaleidoskop von Klangfarben“ aber wird immerhin versprochen.
Sein „Le Tombeau de couperin“ hatte Maurice Ravel (1875-1937) ursprünglich gedacht als eine Trauermusik auf den großen Cembalisten und Komponisten Ludwig XIV. Auf François Couperin (1668-1733) komponierte er nach französischen Barocktänzen ab 1914 eine 6-sätzige Klaviersuite. Später schuf er daraus eine viersätzige Orchesterfassung in typisch impressionistisch-Ravelscher Harmonik und Rhythmik. Das Werk beginnt mit dem herausfordernd flinken Prélude. Violinen singen klangvoll in den virtuosen Bläserwirbel und ein perlender barocker Springbrunnen mit seinen aufsteigenden Fontänen entsteht assoziativ vor den Augen. Das Ganze endet mit aufsteigendem Harfenarpeggio im ppp. Der lebhafte 6/8 Forlane-Tanz aus Friaul ui sonorem Pizzicato der Kontrabässe soll Ähnlichkeiten mit der Tarantella aufweisem klingt hier aber gemäßigt im Tempo. Derb und zupackend, musikantisch beginnt zuletzt der Rigaudon, in dessen Mittelteil Oboe und Flöte die Zuhörer gefangen nehmen. Lebhaft und mit großer Spielfreude endet diese Trauermusik, deren Sätze Ravel bei Fortschreiten des großen Krieges gefallenen Freunden gewidmet hat. Dabei läßt der durchsichtige, leichte, tänzerische Charakter dieser Musik nicht unbedingt Trauer, Tragik, oder Gedanken an Totentänze aufkommen, sondern mahnt in seiner Behutsamkeit und Eleganz vielleicht eher daran, wie absurd der Aufenthalt in Schützengräben und Giftgaswolken ist. Die Orchesterfassung dieser Tanzsuite ist neben dem Bolero eines der meist gespielten Werke Ravels.
 
Auch Ma Mére l´oye hatte Ravel 1908 ursprünglich für Klavier (zu vier Händen) komponiert, und zwar für die Kinder von Freunden. Phantastische Märchenfiguren von Dornröschen bis zum kleinen Däumling werden hier musikalisch in Szene gesetzt. Dabei klingt die Musik einerseits einfach und kindgemäß, ist aber andererseits raffiniert und heikel. Die Querflöten beginnen ruhig und gravitätisch ihre Pavane. Auch der kleine Däumling verbreitet eher elegische Stimmung. Dann macht die hässliche Kaiserin Wind, verschafft sich Respekt mit dem großen Becken. Herrlich wie die Schöne (Klarinette) und das häßliche Biest (nahezu unanständiges Kontrafagott) im ¾ Takt miteinander umgehen bis die Harfe die Verwandlung zum Prinzen besorgt. Als hohe Solo-Violine steigt er, zunächst kaum hörbar sozusagen vom Himmel herab. Das Ganze endet im phantastischen Zaubergarten, in dem sich liedhafte Themen, ineinander übergehenden Akkorde und sich verschiebende Harmonik zu Klanggemälden verbinden, die in ihrer musikalischen Mehrdeutigkeit impressionistisch oder zeitgerechter expressionistisch genannt werden können. Aufmerksam folgte das Sinfonieorchester Wuppertal dem umsichtigen und eleganten Dirigat von Elias Grandy, in München geboren. Seit 2015 ist er Generalmusikdirektor in Heidelberg (Philharmonisches Orchester) und in dieser Saison zu Gast bei der Staatskapelle Halle, dem Orchestre Philharmonique du Luxembourg, der Minnesota Opera, der Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz und dem Quatar Philharmonic Orchestra. Seine Karriere begann, nachdem er 2015 einen 2. Preis beim Internationalen Sir Georg Solti Wettbewerb gewonnen hatte. Neben dem Philharmonischen Orchester Heidelberg (Oper und Konzert), dirigiert er das Bundesjugendorchester, mit dem er im August in der Kölner Philharmonie, im Konzerthaus Berlin bis hin zum internationalen Haus der Musik in Moskau auftreten wird.
 
Nach der Pause kam der Dirigent hereingeeilt, zwischen den Musikern bereits mit erhobenen Armen wedelnd. Jetzt gab es von Jean Sibelius (1865-1957) „Lemminkäinen“, übrigens zum ersten Mal in Wuppertal. Aus dem finnischen Nationalepos Kalvala stammt dieser Held der finnischen Mythologie. Er konnte sich Zutritt verschaffen zur Insel Saari, auf der nur Frauen und Mädchen leben, Männer grundsätzlich keinen Zutritt hatten. Um seine Traumfrau zu erlangen mußte er den Elch eines dämonischen Trolls erlegen, einen feuermäuligen Hengst zähmen und auf dem Fluß der Unterwelt einen unschuldigen Schwan töten. Er scheiterte und wurde zerstückelt in den Fluß geworfen. Seine Mutter konnte die Gliedmaßen auffischen und ihren Sohn wieder zusammensetzen. Es gab also ein glückliches Ende. Man darf gespannt sein, was musikalisch aus diesem ursprünglich als Oper geplanten Stoff und der Zerstückelung geworden ist. In einem blutrünstigen Jahr der Musikgeschichte wurde diese Suite 1895/96 fast gleichzeitig mit dem kürzlich hier gehörten „Goldenen Spinnrad“ von Dvorak, komponiert, in dem die Königsbraut zerstückelt wurde. Selbstkritisch und unzufrieden mit sich, hat Sibelius seine Komposition mehrfach umgearbeitet und erst 1954 drucken lassen. Er bezeichnet sich selbst als „Musikmaler“, erweist sich aber mit diesen Stücken eher als Meister hochdramatischer, zerrissener, nahezu sinfonischer Entwicklungen und Episoden. Musikantisch und mit großer Spielfreude, differenziert wie subtil, ging das Orchester die komplexe Komposition an Da bebte zwischen dramatischem PP-Tremolo, FF-Akkorden des Blechs und orchestral stürmischem Gewitterglissandi phasenweise die Erde und später beim spätromantischen Zwiegespräch zwischen Englisch-Horn und Cellokantilenen im „Schwan von Tuonela“ die Seele. Der Schwan in der Musik wäre übrigens eine eigene Betrachtung wert. Zuletzt fuhr der Held triumphal beschwingt, in hohem Tempo, aufgewühlt gen Heimat bzw. dem Ende entgegen und nach gewaltigem Schluß brach das Publikum in ebensolchen Applaus aus. Zu Recht.
 

Foto © Johannes Vesper

Das Programm gehört zu solchen, die der Musikfreund nicht missen möchte, wenn er sich zum Besuch einmal aufgerafft hat. Aber Programme, mit denen es gelingt auch überregional Bedeutung und Aufmerksamkeit zu erlangen, bleiben eine Herausforderung.