Friedrich Knilli †

Nachruf auf den Nestor der Medienwissenschaft

von Marduk Buscher

Friedrich Knilli © Emmerich Mohapp, Graz
Friedrich Knilli
 
Friedrich Knilli, der „Nestor der deutschen Medienwissenschaft“ ist am 1. Februar 2022, kurz vor seinem 92. Geburtstag in Berlin verstorben.
Gab es in Deutschland überhaupt eine Medienwissenschaft vor Prof. em. Dr. Friedrich Knilli?
Ja, und er selbst war bescheiden genug, sich immer wieder auf seinen Vorgänger an der TU Berlin, Walter Höllerer, zu berufen. Der hatte 1959 als Professor für Literaturwissenschaft das „Institut für Sprache im technischen Zeitalter“ gegründet und holte den jungen Friedrich Knilli Anfang der 1960er Jahre aus Graz an sein Institut nach Berlin. 1972 wurde Knilli, umworben von zahlreichen Universitäten, auf den Lehrstuhl für allgemeine Literaturwissenschaft mit Schwerpunkt Medienwissenschaft berufen, kurz „Institut für Medienwissenschaft“ genannt.
Da hatte er sich längst mit seinem Buch „Das Hörspiel. Mittel und Möglichkeiten eines totalen Schallspiels“ (1961) einen Namen gemacht, und im Jahr 1971 den Adolf-Grimme-Preis für sein Drehbuch zu „Auf, Sozialisten, schließt die Reihen! Deutsches Arbeitertheater 1867–1918“ erhalten. Hörfunk, Fernsehen, Theater … damit waren die wichtigsten Massenmedien des 20. Jahrhunderts zu seinen Themenfeldern geworden. Freilich immer, um die Themen hinter dem Medium, letztlich die „Realität“ zu analysieren, zu beschreiben und … zu verändern.
Medien haben nur in der gesellschaftlichen Realität eine Funktion, und Medienwissenschaft war von der Medienproduktion für Knilli nie zu trennen, wovon unzählige Projekte zeugen, welche er zusammen mit seinen Studenten umgesetzt hat, um über die Veränderung der Medien die Realität zu verändern. Die Gründung des praxisbezogenen Studienganges „Medienberater“ folgte diesem Gedanken und setzte 1986 neue Maßstäbe. Einen großen thematischen Schwerpunkt bildete über Jahrzehnte die Darstellung der Juden und der Analyse des Antisemitismus in den Medien. Sozusagen als „Vehikel“ dienten ihm die US-Serie „Holocaust“ 1979 und die Romane von Lion Feuchtwanger, insbesondere „Jud Süß“ und dessen antisemitische Adaption in Veit Harlans gleichnamigen Film 1940 sowie die mediale Auseinandersetzung mit Feuchtwangers Werken nach 1945 bis in die 2000er Jahre.
Knilli ließ die Studierenden ihre Erkenntnisse gleich wieder im jüngeren Medium Internet darstellen (www.feuchtwanger.de ) und wies den Weg „zurück“ zur Buchproduktion oder zur stationären Ausstellung aus seinen Seminaren heraus. Auch nach seiner aktiven Hochschulzeit analysierte, erlernte und produzierte er weiter Medien. So veröffentlichte er im Internet die Geschichte seiner eigenen Familie und der Verfolgung einer jüdischen Familie in der Nachbarschaft von den Dreißiger Jahren bis in die 2010er Jahre und ließ die Rezipienten der Fortsetzungsreihe an der praktisch gleichzeitigen historischen Recherche teilhaben. Zum Schluß wurde aus dem zusammengetragenen Stoff ein Hörfunk-Feature („Höllenfahrt“, 2018) produziert.
Nun ist Friedrich Knilli tot. Sein – im weitesten Sinne – mediales Wirken lebt in der Arbeit seiner Studenten fort.
 
Dr. Marduk Buscher