„Kostbar und himmlisch“

Claire Huangci – „Mendelssohn Works for Violin and Piano“

von Johannes Vesper

„Kostbar und himmlisch“

Violine und Klavier von Mendelssohn
 
Die Orpheum Stiftung zur Förderung junger Solisten (gegründet 1990) ermöglicht jungen musikalischen Talenten nicht nur Konzerte mit namhaften Orchestern (regelmäßige Zusammenarbeit mit dem Tonhalle-Orchester Zürich oder dem Tschaikowsky-Symphonieorchester des Moskauer Rundfunks), sondern auch hilft auch bei der Produktion von CD. Als künstlerischer Leiter der Stiftung hat Howard Griffith Claire Huangci und Marc Bouchkov zusammengebracht und zu dem Programm ermuntert, welches eher nicht zum Standardrepertoire gehört und noch heute wenig Beachtung findet. Marc Bouchkov, 1991 in Montpellier geboren), studierte u.a. bei Mihaela Martin an der Kronberg Academy, arbeitet aktuell mit Eduard Wulfson, gewann Preise in Brüssel und Moskau spielte unter Mariss Jansons, Valery Gergiev, Christoph Eschenbach u.a. mit den Münchener Philharmonikern, dem NDR Elbphilharmonie Orchester, dem Tonhalle-Orchester Zürich u.a.. Auf die Violinsonaten Mendelssohns wie auf das Doppelkonzert hat er sich intensiv vorbereitet. Man hört der Aufnahme an, daß sein „Vibrato aus dem Herzen“ kommt, „welches erfüllt ist von Mendelssohns Musik“ (Beiheft). Die hier bereits mehrfach besprochene Claire Huangci muß nicht vorgestellt werden. Mehrfach wurden ihre Aufnahmen → hier besprochen. Sie hat Gespür für die Noblesse, Eleganz und Dramatik Mendelssohns, dessen Musik einerseits „trügerisch einfach“ erscheint, aber bei der unter romantischem Wohlklang ernstere Stimmungen nicht verborgen werden sollen. Und wenn beide bis an die „Grenzen des virtuosen Spiels“ gehen, erlebt das auch der Zuhörer elementar und emotional.
 
Die auf dieser CD gespielten Werke des damals 14jährigen Wunderkindes Felix Mendelssohn-Bartholdy (1809-1847) lassen den Zuhörer auch fast 200 Jahre später nur staunen. 1823, also im gleichen Jahr wie die Sonate op. 4, komponierte er sein Doppelkonzert für Violine, Klavier und Streichorchester. Beide Werke waren im Rahmen der im großbürgerlichen Hause Mendelssohn üblichen Sonntagsmatineen ehemals uraufgeführt worden. Unter dem Einfluß Richard Wagners und  des schon damals in Deutschland blühenden Antisemitismus hatte es Mendelssohn schon zu Lebzeiten nicht leicht und im braunen Nazi-Deutschland  waren seine Werke gar verboten.  Die andere Violinsonate F-Dur (1838) war lange verschollen und erst 1953 von Yehudi Menuhin wiederentdeckt worden. Mendelssohns Denkmäler in Leipzig und Düsseldorf, als „Metallspende des Deutschen Volkes für den Führer“ von Nazi-Barbaren eingeschmolzen, stehen inzwischen wieder. So gehören seine Kompositionen im weiteren Sinne zur Musica reanimata, also der Musik, die in Deutschland aus politischen Gründen unterdrückt und verschwunden war.
 
Zu Beginn also das Doppelkonzert, welches vom Orchester mit ungeheuer Energie und nervösen Punktierten Sechzehnteln eingeleitet wird, bevor Klavier und Violine ihre schwungvollen Soli beginnen, immer wieder schlagen die punktierten Sechzehntel durch. Dann zum 1. Mal nach Generalpause und Violinsolo breitet sich das elegische 2. Thema aus. Stimmungswechsel -ruhige Elegie oder rezitativartige Einwürfe gegen brausenden Sturm- charakterisieren den Satz, Orgelpunkte bieten nur vorübergehenden emotionalen Halt. Zuletzt, erst getrennt, dann zusammen eine hochvirtuose Kadenz. Wie ein Lied ohne Worte entwickelt sich das Adagio zwischen den Solo-Instrumenten, nur sparsam vom dezenten Kammerorchester begleitet. Dann saust hoch virtuos mit großer Spielfreude, blitzsauber, mit differenziertester Dynamik Allegro molto der dritte Satz los. Auch hier ruhigere Phasen sozusagen zum Atemholen im Wechsel mit rasender, perlender Hochgeschwindigkeit. Das Basler Kammerorchester begleitet unter Howard Griffith stets durchsichtig und sensibel bei diesem Juwel des vierzehnjährigen Felix. Welch wunderbare Aufnahme.
 
Mit großem erstem einleitenden Violinsolo beginnt das Adagio der Violinsonate op. 4. Der Komponist war mit dieser Sonate zufrieden, er gab sie selbst in Druck und hat sie seinem Geigenlehrer Eduard Rietz gewidmet, der sie mit Fanny Mendelssohn am Klavier gespielt hat. Dem gesanglichen Werk ist anzumerken, daß die Violine neben dem Klavier das Hauptinstrument des jugendlichen Felix war. Der Schlußsatz (Allegro Agitato) beginnt mit den munteren Repetitionen des 1. Themas, vom Klavier vorgetragen, von der Violine übernommen. Heiter, spielfreudig findet die Violine zwischendurch Zeit für eine kleine Kadenz, für emotionales Durchatmen zwischen geschwinder, motorischer 6/8 Lebendigkeit. Goethe sprach von ihm als einem „kostbaren himmlischen“ Knaben. Recht hatte er! Überraschend disharmonisch klingt der Schluß der Sonate, da die Auflösung der Vorhalte der Violine in den letzten beiden Takten im pp untergeht.
 
Vielleicht wird so aber auch die Neugier auf die Violinsonate F-Dur (1838) geweckt, die Felix Mendelssohn-Bartholdy nicht veröffentlicht hat, auch nicht nach einer erneuten Überarbeitung, weswegen sie mehr als 100 Jahre verschollen blieb. Mit Klavierfanfaren beginnt der 1. Satz. Das Thema erhebt sich über Akkordrepetitionen, bevor ein lyrisches zweites Thema von der Violine angestimmt wird. Schnelle Arpeggien, Sechzehntel-Triolen wirken konzertant. Nachdenklich stimmt das Klavier den langsamen 2. Satz an, die Geige führt das liebliche Thema fort. Nach der ruhigen hohen Schlusskantilene der Violine am Ende jagt der letzte Satz höchstvirtuos los. Blitzsauber, mit diffiziler Dynamik und spannungsreicher Agogik spielen die beiden völlig makellos und schlagen die Zuhörer in den Bann, der atemlos auf die Stuhlkante rückt. Nichts sollte ihm entgehen. Höchste Virtuosität (wie beim gleichzeitig entstanden Violinkonzert), Brillanz und Accuratesse bieten atemloses, reines Vergnügen. Die Aufnahme beruht auf der Erstfassung von Felix Mendelssohn, nicht auf der eher frei ergänzenden Fassung von Yehudi Menuhin. Warum Mendelssohn diese herrliche Musik nicht zum Druck frei gegeben hat? Das wissen wir nicht.
 
Claire Huangci / Marc Bouchkov – „Mendelssohn Works for Violin and Piano“
Doppelkonzert für Geige, Klavier und Streichorchester in D-Moll, Sonaten in f-Moll Op. 4 und F-Dur.
Claire Huangci (Klavier), Marc Bouchkov (Violine), Kammerorchester Basel Howard Griffith.
© 2002 Berlin Classics/Edel. License Orpheum Stiftung Zürich
 
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