François Villon - Das Große Testament (9)

Neu übertragen

von Ernst Stankovski
François Villon
Das Große Testament

Übertragen von Ernst Stankovski


Ballade
von Villon, gedichtet für einen jungvermählten
Edelmann, damit er sie seiner Gemahlin
überreiche, die er mit dem Degen in der Hand
erobert hatte.

Am frühen Tag, da steil der Sperber steigt,
zu hohem Fluge fürstlich auserkoren,
und seine Würde, Kraft und Schönheit zeigt
dem jungen Licht auf nebelfeuchten Mooren,
da hab' ich mich an euch, oh Frau, verloren,
als ich beim Jagen ritt euch das Geleite,
und bei des Sperbers hohem Flug geschworen,
ein Leben lang zu geh'n an eurer Seite.
 
Oh bleibet stets mir huldvoll zugeneigt,
nie soll sich Zorn in uns're Herzen bohren.
Wie Lorbeer, der geehrtes Haupt umzweigt,
krön' eure hohe Lieb' mich armen Toren.
All andern Frau'n sei künftig abgeschworen,
daß niemals Kummer sich für euch bereite.
So wie der Sperber kreist, bin ich geboren,
ein Leben lang zu geh'n an eurer Seite.

Und wenn vielleicht Fortuna einmal schweigt,
bleib' ich gewiß solange ungeschoren,
als euer Aug' mir süße Hoffnung zeigt.
Ich trotz' sogar dem Schicksalsspruch der Horen,
wenn uns die Saat der Liebe nicht erfroren,
die auf dem Feld der Eh' geweihte.
Aus zartem Keim werd' reiche Frucht gegoren:
Ein Leben lang zu geh'n an eurer Seite.
 
Envoi
Oh Fürstin, hört mich mit geneigten Ohren,
für ewig gilt, was ich euch sage heute.
Was bei des Sperbers Flug ich hab' geschworen:
Ein Leben lang zu geh'n an eurer Seite.

...und was Villon all den Halsabschneidern, Wucherern, Pfaffen, Kollegiaten, Professores und ewig geilen Stenzen vermacht:

116  Der Geldwechsler Germain de Merle / verwalt' künftig meine Finanzen.
Der schlaue, ausgefuchste Kerl, / der alles steckt in seinen Ranzen.
Doch ändere er seine Usancen, / mach' Pfennige zu Silberstücken
und wechsle künftig nur beim Tanzen, / wenn ihn grad Liebestriebe jücken.
 
117  Weil ich beim Geld bin, apropos, / gedenk' ich der »Drei Waisenknaben«
Laurens, Gossouyn, J ean Marceau, / dieser schwerreichen Wucher-Raben,
die keinen Deut Erziehung haben! / Man soll in ihren alten Tagen,
damit sie ändern ihr Gehaben, / sie auf die strengste Schule jagen.
 
118  Schickt sie zu Maitre Pierre Richier, / der schindet sie mit Systematik
und tut ihnen auch gründlich weh / mit der lateinischen Grammatik.
Wird dann die Geistesakrobatik / von ihrem Hirn schwer angenommen,
zeigt das erneut die Problematik, / daß Trottel nur zu etwas kommen.
 
119  Das große Credo ist zu schwer: / Beschäftigung mit ew'gen Dingen.
Das kleine leiern sie schon her: / Wie sie's persönlich zu was bringen
und größ'ren Reichtum noch erringen. / Drum füllt ihnen die Kassenladen,
damit sie wie die Kinder springen, / wenn man sie stopft mit Schokoladen.
 
120  Doch wie es braven Kindern ziemt, / lehr' man sie sittsames Betragen:
Daß nichts man mit Gewalt sich nimmt, / um alles bitten soll und fragen.
Und will man über's Ohr wen schlagen, / dann fühle der sich nie betrogen,
soll dankbar hinterher noch sagen: / »Gott, war mein Räuber gut erzogen!«
 
121  Cotin, Victry, den beiden Pfaffen, / die um den Titel mich gebracht,
die immer gerne Mietzins raffen, / sei all mein Einkommen vermacht:
Von meinen Landhäusern die Pacht. / Man schick' ihnen das Geld sehr bald
so pünktlich, als sei's abgemacht / vom Schlächter Gueldry, der nie zahlt.
 
122  Sie sind noch jung, erst achtzig Lenze, / die beiden süßen alten Knaben,
so springlebendig schlanke Stenze, / wenn sie auch Bäuche fett umwaben.
Zu all den reichen Gottesgaben, / die sie erwarben voller Eifer,
kommt wohl noch würdiges Gehaben, / sind sie erst fünfzig Jährchen reifer.
 
123  Doch weil sie so voll Übermutes, / will ich mit freigebigen Händen
im Anseh'n meines Doktorhutes / ihnen noch ein Stipendium spenden.
Bei randalierenden Studenten / (denn grad' die schätzen sie so sehr)
in dem mit Recht so sehr verpönten / Collegium des dix-huit clers.
 
124  Ich will dem Stiftsverwalter schreiben, / bevor man ihm die Bude schließt,
mög' er sie sich noch einverleiben, / das alte, widerliche Biest.
So wie er mir das Stift vermiest, / zieh' er auch ihnen lang die Ohren,
damit sie wissen wie das ist. / Denn so erzieht man dort Doktoren.
 
125  Michault Cul d'Oue, der nie erschlafft, / und Charles Taranne, dem stets erregten
Verwerter seiner Manneskraft, / gebt hundert Sous. Auf daß sie's pflegten,
das Geld, auf guten Zins es legten, / und sich dann selber noch dazu ­
bei Frau Jehanne und ihren Mägden / zur wohlbezahlten guten Ruh'.
 
126 Herrn von Grigny, der Altes sammelt, / schenk' ich erneut heut' eine Mauer,
die richtig brüchig und vergammelt / (beim letzten Mal war er ja sauer).
Den alten Billy-Turm, den bau' er / ganz stilecht aus für sehr viel Geld.
Das Geld borg' er sich oder klau' er, / weil ich's nicht hab und weil's ihm fehlt.
 
127 Ein Ochs braucht was auf seine Hörner, / auch wenn er glaubt, keine zu haben.
Ich kenne zwei: La Garde und ferner Genevoys, /  den alten Knaben.
Auch sie soll'n sich an Gaben laben: / Ein Wirtshausschild, das ihnen nütz' sehr
dran könn' sie ihre Hörner schaben, / was and'res krieg'n sie doch nicht spitz mehr.
 
128  Dem rüden Richter Bassanie / daß sich sein Rechtsgefühl erhell',
vermach' ich scharfe Kräuter, die / zuvor man klau' bei Jean Ruel.
Auch Herrn Mautaint und Herrn Rosnel / sei'n diese Kräuter angeboten,
daß sie damit dann offiziell / die Sprüche würzen des Prevoten.
 
129  Ihm, Herrn Robert d'Estouteville, / dem ritterlichen Edelmann,
der mutig sich beim Waffenspiele / mit seinem Schwert, auf off'nem Plan
die edelste der Frau'n gewann, / die schöne Ambroise d'Loré
(wie Hektor gab er niemals an), / ihm geb ich dieses Lied zur Eh'.


Wer den Original-Ton hören möchte, kann das mit der CD zum Programm: www.kip-media.de
Informationen über Werk und Wirken Ernst Stankovskis unter: www.ernst-stankovski.com und www.musenblaetter.de

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"Das Große Testament" des François Villon.
Redaktion: Frank Becker