Ernst Stankovski †

Einer der letzten großen Schauspieler ist gestorben.

von Renate Wagner

Ernst Stankovski
Ernst Stankovski ist tot.

Renate Wagner erinnert an den großen Mimen,
der ihr 2018 exklusiv für die Musenblätter sein
letztes Interview gegeben hat.
 
Eine Karriere lang, die Jahrzehnte überspannte, betrachtete sich der Wiener Ernst Stankovski als „vazierender Komödiant“ und war in ganz Deutschland und in allen Medien präsent. Bis zu seinem 80er vor zehn Jahren war er immer noch aktiv. Erst in den letzten Jahren ist Stankovski, der heute, am 16. Juni seinen 90. Geburtstag feiert, in Klosterneuburg (13 Kilometer nördlich von Wien zwischen Kahlenberg und Donau) endgültig „seßhaft“ geworden. Renate Wagner hat exklusiv für die Musenblätter mit ihm gesprochen.
 
Eigentlich möchte Ernst Stankovski gar nicht mehr beachtet werden. Er hat sich in seiner, wie er sagt, letzten Lebensphase eingerichtet, und er ist unendlich dankbar, daß er und seine Frau „zwar alt geworden sind, aber relativ gesund geblieben“ sind. Von der Öffentlichkeit hat er sich verabschiedet – „Ich gehe auch in kein Theater mehr“ -, und Interviews weicht er aus. Wir sind dankbar, daß er dann doch mit uns spricht.
„Es geht mir nichts ab, wenn ich mich von allen äußeren Dingen verabschiedet habe“, meint er. „In aller Demut gesagt, das öffentliche Leben ist für mich vorbei. Man muß akzeptieren, daß jeder Lebensabschnitt Veränderungen mit sich bringt. Und ich habe das ‚Leben’ wirklich gehabt. So, daß meine Frau und ich glücklich sind, jetzt ‚einsam’ zu sein.“
Keine Auftritte mit „Seitenblicke“-Beachtung, was für viele ältere Kollegen als Bestätigung so wichtig ist, daß man sie nicht vergessen hat. Ernst Stankovski will und braucht das nicht. Abgesehen davon, daß er ohnedies von der alten Schiller-Weisheit überzeugt ist, daß die Nachwelt dem Mimen keine Kränze flicht: „Der Schauspieler arbeitet für den Tag bzw. für den Abend. Wenn die die Vorstellung zu Ende ist, ist es vorbei und bald auch vergessen. Ja, wenn man zu runden Geburtstagen dann Ausschnitte sendet, von dem, was gewesen ist… aber eigentlich war das nicht mein Hauptleben.“
Und worin hat dieses bestanden?
 
Schließlich hat Ernst Stankovski, geboren am 16. Juni 1928 in Wien / Hernals (man muß das dazu sagen, weil das kein Nobelbezirk, sondern eine

Agenturfoto 1957 Film ABC/Foto Almanach
Arbeitergegend ist), in seinem Leben so unendlich viel getan. Ruhelos von einem Ort zum anderen. In seiner Heimatstadt Wien hat er am Theater die wenigsten Spuren hinterlassen. Hier hat er zwar einst, am 15. Juni 1946, einen Tag vor seinem 18. Geburtstag, „begonnen“. Damals spielte er in einer Aufführung des Reinhardt-Seminars in „Armut“ von Anton Wildgans, und einer seiner jugendlichen Kollegen war der später auch sehr berühmt gewordene Romuald Pekny.... Als er an das Theater in der Josefstadt engagiert wurde, war er ganz jung und drehe nebenbei viele Lustspielfilme. Dann ging er freiwillig weg („Ich wollte nicht picken bleiben.“) Zuerst nach Zürich, dann überall hin.
Als er endlich – allerdings für eine sehr schöne Rolle, 1994 in Corneilles „Spiel der Illusionen“ - an das Burgtheater kam, war er nicht mehr jung und es hatte keine Folgen, und im Volkstheater war er nur vereinzelt aufgetreten. In Musicals hat man ihn auch gesehen, er war ja nun ein sehr guter Sänger. Seine geringe Wien-Präsenz sei ganz logisch, sagt er ohne Bitterkeit: „Ich habe in Wien nie auf mich aufmerksam gemacht - also ist es natürlich, daß man selten an mich gedacht hat.“
Ist er über seine Vielseitigkeit gestolpert? Nimmt man nicht wahr, daß er Nathan den Weisen gespielt hat, im Rückblick seine wichtigste Rolle, wie er sagt, „und die ganzen Molières, die ich ja auch übersetzt habe.“ Und natürlich Francois Villon, auch von ihm übersetzt und bearbeitet und über Jahrzehnte hindurch landauf, landab einem begeisterten Publikum in konzentrierten Soloabenden vorgestellt?
 
Er hat einfach zu viel gemacht und gekonnt, er war der Entertainer, der Showmaster, der Fernseh-Präsentator von Musik-Shows, und die Öffentlichkeit tut sich mit solchen Talenten (die es im englischsprachigen Raum leichter haben) schwer. Bei uns muß einer etwas Bestimmtes sehr gut können – aber daß er alles kann… das ist nur verdächtig.
Und bei Stankovski war es der Fall. Und weil er für die „Deutschen“ eben der „Bonvivant aus Wien war“ (wie der ORF auch seine Huldigungssendung zum 80er nannte, die man zum 90er wiederholt hat, ohne sich die Mühe zu machen, Stankovski zu „updaten“), überlegt man nicht, was da alles daran hängt – daß einer nicht nur spielen kann, sondern auch singen und tanzen, daß er als Entertainer und Showmaster schlagfertig aus dem Stehgreif agiert, ebenso wie als Kabarettist, daß einer am Klavier und auf der Gitarre perfekt spielt und dazu singt (als er Chevalier und Montand und Trenet sah, „wollte er auch“ Chansonier werden – und wurde es) und meist auch noch selbst gedichtet hat, was dabei herauskommt, abgesehen von hoch gelobten Übersetzungen aus dem Französischen…
Und immer hat es ihn getrieben, unterwegs zu sein, die Gattin – die Münchner Primaballerina Anna Luise Schubert, die keine „mitreisende“ Ehefrau war – und Sohn Alexander blieben in Wien und haben oft nicht viel von ihm gesehen. Und doch hat die Familie immer funktioniert. Heute haben die Stankovskis zwei Enkelkinder, und sie sind, wie auch ihr Vater, „musikalisch“ tätig.
 

Ernst Stankovski, Eva Kerbler - Anatol 1975
Foto © Renaissance Theater Berlin
Ich habe Ernst Stankovski 1975 am Berliner Renaissancetheater als Schnitzlers „Anatol“ gesehen, und in Deutschland (wo man ihn allerdings auch Tewje und Mann von la Mancha spielen ließ, Sartre auch - und Nestroy sowieso) war er doch auch „der Österreicher vom Dienst“. Dabei hat er immer nur klarstes, schönstes „Deutsch“ gesprochen, ohne hören zu lassen, woher er kam: „Ich kann den Österreicher nicht verleugnen, aber ich habe ihn auch nie vor mir hergetragen. Das ‚Österreichische’, wie man es allgemein wahrnimmt, ist für mich eine Kabarettsprache. Ich habe – wenn man aus Hernals kommt – in der Schauspielschule Deutsch wie eine Fremdsprache gelernt. Trotzdem hat man mich in Deutschland oft für Österreichisches engagiert.“

Wenn es nicht der Villon war. Und doch auch die Weltliteratur. Und zahllose Fernsehrollen aller Art. Wie will man diesen Mann griffig „festhalten“?

Womit man zur Frage nach dem „Hauptleben“ zurückkommt. Ernst Stankovski hat nie – und dadurch unterscheidet er sich von einem Großteil seiner Kollegen – „Memoiren“ geschrieben. „Als ein Verlag angefragt hat, wollte ich das veröffentlichen, was mir wichtig war – meine Übersetzungen, meine Bearbeitungen, auch von Villon, und meine vielen Kabaretttexte. Aber daran war man nicht interessiert.“ Über Privates redet er wiederum nicht – also war er auch nicht interessiert. „Ich habe mich immer geweigert, mein Privatleben der Öffentlichkeit hinzuwerfen – vielleicht bin ich deshalb auch nicht so berühmt geworden...“ Aber das ist nicht bitter, sondern gelassen gemeint. Immerhin war er sein Leben lang gefragt, hat gespielt, gesungen, „entertaint“ – „und solange ich es getan habe, tat ich es mit aller Kraft und allen Möglichkeiten, die mein Talent mir geschenkt haben.“


Ernst Stankovski, Ulrich Wildgruber „Unter der Treppe“ 1995 - Foto © Eurostudio Landgraf

„Das Leben ist gelaufen, wie man es verdient hat“, sagt Ernst Stankovski. Und es ist gut gelaufen. Schade, daß er sich seit seiner Herzoperation vor fünf Jahren nicht mehr ans Klavier setzt, auch die Gitarre hat er nicht mehr angerührt. Aber schließlich gibt es Bücher. Ernst Stankovski sitzt inmitten einer Riesenbibliothek und mag gar nicht aufhören zu lesen. „Da wird man nie fertig, es gibt so viel Kluges, Anregendes. Ich kaufe viele Bücher, immer liegt ein ganzer Stapel da. Jetzt nehme ich mir wieder den Lukrez her…“

 
© 2001 kip records

Einst hat Ernst Stankovski in einem seiner Soloabende gesungen: „Man kann net einmal sterben in Wien“. Gestern, am 26. Jänner 2022 ist Ernst Stankovski im Alter von 93 Jahren in seiner Heimatstadt Klosterneuburg gestorben. Er bleibt unvergessen.

Renate Wagner
 
Redaktion: Frank Becker