Oft in der stillen Nacht

von Otto Julius Bierbaum

Foto © Frank Becker

Oft in der stillen Nacht
 
Oft in der stillen Nacht,
wenn zag der Atem geht
und sichelblank der Mond
am schwarzen Himmel steht,

wenn alles ruhig ist
und kein Begehren schreit,
führt meine Seele mich
in Kindeslande weit.

Dann seh’ ich, wie ich schritt
unfest mit Füßen klein,
und seh’ mein Kindesaug’
und seh’ die Hände mein

und höre meinen Mund,
wie lauter klar er sprach
und senke meinen Kopf
und denk’ mein Leben nach:

Bist du, bist du allweg
gegangen also rein,
wie du gegangen bist
auf Kindes Füßen klein?

Hast du, hast du allweg
gesprochen also klar,
wie einsten deines Munds
lautleise Stimme war?

Sahst du, sahst du allweg
so klar ins Angesicht
der Sonne, wie dereinst
der Kindesaugen Licht?

Ich blicke, Sichel, auf
zu deiner weißen Pracht;
tief, tief bin ich betrübt
oft in der stillen Nacht.
 
 
Otto Julius Bierbaum