„Davon glaube ich kein Wort!“

Alexander von Humboldt in der Anekdote

von Ernst Peter Fischer

Ernst Peter Fischer

„Davon glaube ich kein Wort!“

Alexander von Humboldt in der Anekdote

Von Ernst Peter Fischer
 

Der deutsche Kolumbus
 
In dem Jahr, in dem in London Darwins umwälzende Vorschläge für den „Ursprung der Arten“ erscheinen, stirbt in Berlin der bald neunzigjährige Alexander von Humboldt, der sich niemals im Leben Gedanken über das Heiraten und die Gründung einer Familie gemacht hat. In Humboldts langem Leben taucht keine Frau auf, außer seiner – extrem strengen und von ihm eher verabscheuten – Mutter. Immerhin hat sie ihrem Sohn ein Riesenvermögen hinterlassen, mit dem er seit dem Ende des 18. Jahrhunderts alle beruflichen Verpflichtungen aufgeben und umfangreiche Reisen um die ganze Welt finanzieren konnte. Bei einer dieser Unternehmungen kam Humboldt auch nach England, und hier gelang es dem über Siebzigjährigen den zweiunddreißigjährigen Darwin zu treffen.
       Humboldt trug wie immer einen dunklen Gehrock und ein weißes Halstuch und redete ununterbrochen, obwohl er der Besucher war. Solange er in einem Raum anwesend war, verstummten die anderen offenbar, und obwohl Darwin mehrfach versuchte, den von ihm bewunderten Autor des „Kosmos“ und zahlreicher anderer Bücher zu unterbrechen, monologisierte der „energische kleine Deutsche“ drei Stunden lang „ohne Maß und Ziel“, wie Darwin notierte, um hinzufügen, „vielleicht waren meine Erwartungen zu hoch geschraubt.“ Er horchte allerdings auf, als Humboldt von einem Fluß in Sibirien erzählte, an dessen gegenüberliegenden Ufern die Vegetation trotz gleichen Bodens und gleichem Klima höchst verschieden war, da sich in Darwins Kopf die ersten Gedanken über den Artenwandel bildeten, aber Humboldts Wortgewitter ließ sich nicht unterbrechen, und so ging Darwin etwas enttäuscht wieder nach Hause, ohne ein vernünftiges Gespräch mit Humboldt geführt zu haben.
       Der Schöpfer berühmter Naturgemälde stammt zwar aus dem preußischen Berlin, aber seinen größten Triumph kann Humboldt in Paris feiern. Als er als 35jähriger Naturforscher im Jahre 1804 nach seiner fünfjährigen Südamerikareise in der französischen Hauptstadt eintrifft, feiern ihn die Menschen überschwenglich wie einen ihrer Helden. Humboldt ist vorübergehend berühmter als Napoleon, der daraufhin „voll Haß gegen mich“ reagiert, wie Humboldt bemerkt. Napoleon, der sich auf seine Krönung zum Kaiser vorbereitet, blickt tatsächlich voller Neid auf den zwar bestaunten und bejubelten, aber zugleich auch so belesenen und bescheidenen Deutschen. Napoleon versucht Humboldt zu kränken. Er erkundigt sich, „Sie beschäftigen sich mit Botanik?“, und fügt – ohne eine Antwort abzuwarten – hinzu, „Auch meine Frau treibt sie.“ Dann wendet der Franzose dem Deutschen den Rücken und seine Aufmerksamkeit anderen Geschäften zu.
Humboldt hält diese brüskierende Behandlung Napoleons aus. Er ist längst den Umgang mit großen Politikern gewohnt, als er vor dem kommenden Kaiser der Franzosen steht. Humboldt ist nämlich von Philadelphia aus nach Frankreich gekommen. In den Vereinigten Staaten war er drei Wochen lang Gast von Präsident Thomas Jefferson. Dieser Besuch bildete den Abschluß seiner Reise in die Neue Welt, die er 1799 zusammen mit dem französischen Botaniker Aimé Bonpland angetreten hat und die ihm nicht nur den Ehrentitel eines „deutschen Kolumbus“ einbringen, sondern seinen Namen an mehr Orten auf der Weltkarte erscheinen lassen wird, als den irgendeines anderen Menschen. „Humboldt“ ist vor allem in Südamerika weit verbreitet und bekannt – und inzwischen gibt es sogar einen Humboldt-Krater auf dem Mond.
     Was Napoleon angeht, so gibt es neben der Humboldt-Anekdote noch die Frage des Kaisers der Franzosen an seinen Landsmann Pierre-Simon Laplace, nachdem der Astronom eine „Himmelsmechanik“ in fünf Bänden vorlegen konnte, die Napoleon wenigstens kurz durchgeblättert hatte. „Wie können Sie dieses umfangreiche Werk schreiben, ohne den Autor des Universums auch nur ein einziges Mal zu erwähnen?“, wollte er wissen. „Sire“, antwortete der Wissenschaftler, „diese Hypothese brauche ich nicht.“
Als Napoleon zu seinem ägyptischen Feldzug in den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts aufbrach und während der Reise von einem Schiff aus den Nachthimmel betrachtete, wollte er von mitgekommenen Wissenschaftlern, die sich überwiegend als Atheisten bezeichneten, wissen, ob die Sterne bewohnt seien, wie lange es die Erde schon gebe und ob die Welt durch Feuer oder Fluten vernichtet würde. Bevor sie antworten konnten, fügte er mit einem Fingerzeig auf die Sterne hinzu, „Was auch immer ihr antwortet, ihr könnt sicher nicht sagen, wer all das gemacht hat.“ Da war sich der Feldherr ziemlich sicher und darüber rätselt die moderne Zunft der Himmelskundigen noch heute.
 

© Ernst Peter Fischer