Millionäre in Paderborn

von Erwin Grosche

Erwin Grosche - Foto © Frank Becker
Millionäre in Paderborn
 
Im Hochstift gibt es 85 Menschen, die eine Million Euro im Jahr verdienen. Leider gehöre ich nicht dazu, obwohl ich mich fast nur von Fruchtsäften ernähre und morgens Marmelade esse. Laut „Manager Magazin TOP 500 Reichste Deutsche“ (10/2015) steht die Familie Stute auf Platz 407 der reichsten Deutschen in NRW, dicht gefolgt von Karsten Strack vom lektora Verlag und Tommy Schroedter von der Kultkneipe Akka. Die höchste Dichte an Millionären, gemessen an der Einwohnerzahl, können Delbrück und Bad Driburg vorweisen. Geht man im Sommer durch diese beiden Städte, fallen einem Menschen auf, die sich mit Geldscheinen Luft zufächeln und im Winter jemanden dabei haben, der vor ihnen einen Heizpilz trägt. Die Stadt mit den meisten Topverdienern ist Paderborn – mit insgesamt 30 Millionären. Nun gibt es noch einen mehr. Ein ostwestfälischer Glückspilz gewann bei der Lotterie «Millionen-Kracher», wie West-Lotto am Freitag mitteilte, eine Million Euro. Man wird nicht ungestraft reich. Wenn jemand eine Million gewonnen hat, wird man das an irgendwelchen Verhaltensveränderungen merken. Mir fiel jetzt auf, daß mein Nachbar mich nicht mehr grüßt. Ist er der neue Millionär und glaubt sich diese Mißachtung erlauben zu können, oder liegt es daran, daß ich ihn nicht mehr grüße? Neulich im Combimarkt, an der Brottheke der Bäckerei Lange, bestellte ein Mann hinter mir zehn „Lange Brötchen“. War das die neue Arroganz, mit der frisch gebackene Millionäre zu kämpfen haben? Brauchte er eigentlich nur drei Brötchen und ließ nun die Puppen tanzen? Überhaupt, was sind denn zehn „Lange Brötchen“? Kauft man sie anstatt vier „Kloke Brötchen“ oder sechs „Hermisch Brötchen“? Oder fragte er nur nach Baguettes? Warum können die Verkaufsstellen der Bäckereien nicht auch Backwaren der Konkurrenz anbieten? Ist der Kunde nicht König, gerade wenn er Millionär ist? Ich entdeckte jetzt in der Shell Tankstelle an der Uni schon am Samstag die „Welt am Sonntag“. Ich wollte mir eigentlich eine „Welt“ kaufen, weil ich deren Literaturbeilage schätze. Die Verkäuferin sagte mir aber, daß die Zeitung „Welt am Sonntag“ die „Welt“ wäre. Mein Hinweis, daß die „Welt am Sonntag“ nur am Sonntag erscheinen würde, wurde nicht glaubwürdiger, wenn sie schon am Samstag ausgeliefert wird. Wenn ich Millionär wäre, dann würde es am Samstag nur die „Welt“ geben und am Sonntag die „Welt am Sonntag“. Heute entdeckte ich einen schwarzen Ledersessel, der auf dem Bürgerstein vor einem Reihenhaus stand. Handeln so nicht Millionäre und geben ab von dem was sie haben? Es kann auch sein, daß dies die Stelle war, wo der neue Millionär seinen Nachbarn erzählt, daß er der „Millionen Kracher“ ist und sich dann alle erstmal setzen müssen. Ich habe mir jetzt überlegt, daß ich einfach so tue, als wäre ich der neue Millionär aus Paderborn. Natürlich bekommt man dann viele falsche Freunde, aber ich denke, so lange sie nett zu einem sind und einem jeden Wunsch von den Augen ablesen, kann man gut mit ihnen auskommen.
 
 
 © 2022 Erwin Grosche

Erwin Grosches Web-Seite: www.erwingrosche.de