Zu Fuß und auf Bänken

Michael Zeller – „Die Kastanien von Charkiw“

von Frank Becker

Zu Fuß und auf Bänken
 
Michael Zeller lädt mit einem
literarischen Mosaik in die Ukraine ein
 
In einer Zeit, in der die Augen der Welt auf die Ukraine gerichtet sind, das europäische Land, an dessen Ostgrenze sich erneut eine martialische russische Armee unter dem Befehl des Stalin-Epigonen Putin versammelt, um bei passender Gelegenheit nach der Krim und der Ostukraine ein weiteres Stück des Landes oder den ganzen Staat an sich zu reißen, ist es besonders gut und wichtig, die Menschen und die überkommene Kultur der Ukraine ein wenig besser kennenzulernen.
Der Schriftsteller Michael Zeller hat auf seinen Reisen dorthin in beinahe dreißig Jahren  dieses kulturreiche Land und Volk bei aufmerksamen Spaziergängen und dem stillen Verweilen auf Park- und Straßenbänken an sein Herz gezogen – vice versa hat der ukrainische PEN ihn als seriösen Gast entdeckt und ihn 2019 zu einem Studienaufenthalt in die „Literaturresidenz“ der Millionenmetropole Charkiw (Charkow) eingeladen. Seine Notizen und Beobachtungen hat Michael Zeller nun in einem beglückenden Buch zusammengefaßt, das im Oberhausener asso Verlag erschienen ist: „Die Kastanien von Charkiw“.

Michael Zeller ist ein stiller, achtsamer Beobachter mit sehr wachem Blick, der liebevoll zugewandt, doch auch nicht unkritisch vor historischem Hintergrund das Portrait eines in wechselvoller Geschichte, großer Kultur, kosakischem Erbe (man denke an Ilja Repins überbordend lebenssaftiges Gemälde „Die Saporoscher Kosaken schreiben einen Brief an den türkischen Sultan“) und räumlicher Ausdehnung wahrhaft großen Landes skizziert. Man atmet mit der Lektüre, die den Leser sogleich mit leichtem, dennoch markantem Strich unmittelbar in ihren Bann zieht, die Stimmung, das Zeit- und Lebensgefühl Charkiws, der Ukraine und ihrer National-Literatur ein. Weite Plätze, breite Straßen (mit bemerkenswert hohen Bordsteinen) die er im Jahreslauf durchwandert und einladende Bänke laden zum Schauen und Verweilen ein. Michael Zeller tut es – und wir mit ihm. Er öffnet Fenster und Türen zu einem für wohl die meisten von uns recht unbekannten Land, seiner Sprache und Dichtung. Und plötzlich ist einem dieses ferne Land ganz nah.
Ich lege Ihnen „Die Kastanien von Charkiw“ sehr ans Herz. Das Buch verdient mit allem Recht unsere Auszeichnung, den Musenkuß. Unser Buch der Woche.
 
Michael Zeller – „Die Kastanien von Charkiw“
Mosaik einer Stadt
© 2021 asso Verlag, 151 Seiten, Broschur, mit 2 farbigen Abbildungen  -  ISBN: 978-3-94961-02-6
14,- €