Ein Afrika-Handbuch mit Mut zur Lücke

„Africa in Golbal History – A Handbook“

von Johannes Vesper

Nach Kolonialismus, Sklavenhandel,
Imperialismus heute:
 
Africa in Global History - ein Handbuch
 
Daß in Afrika die Wiege der Menschheit stand, ist spätestens seit dem Skelettfund der gut 3 Millionen Jahre alten Lucy in Äthiopien 1974 allgemein bekannt. Und das Problem der eurozentrischen Sicht afrikanischer Geschichte ist schon seit G.W.F. Hegel bekannt, heißt es in der Einführung der Herausgeber. Hegel habe Afrika rassistisch unterteilt in das „hellere“ Nordafrika mit der Geschichte Ägyptens und Äthiopiens und in das „schwarze, barbarische“ subsaharische Afrika, welches nach seinen Vorstellungen kaum zur Weltgeschichte beigetragen habe. Gleichwohl wird im Handbuch die Geschichte Nordafrikas in einem eigenen Übersichtsartikel (2: „Africa in the Mediterranean World“ (Oyeniyi Bukola Adeyemi, Mississippi State University, Springfield) abgehandelt. Dabei nimmt die Schilderung der arabischen Expansion über Ägypten und des gesamten Nordens bis hin nach Marokko und der Sahel-Zone im 8. Jahrhundert einen besonderen Raum ein. Lediglich Äthiopier und Nubier, die sich bereits seit dem 2. Jahrhundert dem Christentum zugewandt hatten, widerstanden erfolgreich dieser Islamisierung. Von Makuria aus , dem alten christlichen nubischen Königreich am Nil mit seiner Hauptstadt Old Dongola, transportierten Karawanen Handelsgüter und Sklaven quer durch die Sahara bis nach Westafrika, wo im Königreich der Soninken (Senegal/Mauretanien) Erze abgebaut wurden . Kupfer und Gold sicherten den Reichtum des Landes bis zum 13. Jahrhundert, als das Königreich Mali an Bedeutung gewann.
Auf Nordafrikas riesiges islamisches Erbe mit umfangreichen Bibliotheken in Alexandria, Fez und Timbuktu (merkwürdigerweise fehlt hier Keirouan) wird hingewiesen, ebenso wie auf die reiche frühe arabische Literatur afrikanischer Muslime und die gegenseitige Beeinflussung zwischen Rom und Nordafrika: Kaiser Septimius Severus, Apuleius mit seinem Roman „Der Goldene Esel“, Augustinus waren bedeutende Afrikaner Roms.
 
Im Kapitel über afrikanische Krankheiten und Medizin (13: „Diseases and Medicine in African History“ von Noah Echa Attah, (Indiana University, Bloomington) wird über die traditionelle afrikanische Medizin berichtet, die ohne formale Ausbildung vom traditionellen „doctor master herbalist“ (Medizinmann und Kräutermeister) ausgeübt wird. Diese „Heiler“ sind durchaus spezialisiert, manche für Frauenleiden und Geburt, andere auf psychiatrische Erkrankungen oder Kinderkrankheiten inklusive Krampfanfälle. Gegen verschiedene Krankheiten werden geometrische Inzisionen durchgeführt, in welche „Heilmittel“, aus Blättern oder Blüten gewonnen, eingebracht werden. Der Erfolg traditioneller Heiler wird zurückgeführt auf den meist günstigen Spontanverlauf vieler Erkrankungen. Eine kritische Auseinandersetzung findet nicht statt. Naturgeister, Hexerei und Zauberei werden als wichtige Elemente traditioneller afrikanischer Medizin ursächlich für viele Krankheiten verantwortlich gemacht. Oft besteht eine Skepsis gegenüber „weißer“ Medizin. Präventiv einzunehmende traditionelle Arzneimittel werden gegen Verkehrsunfälle, Gewehrschüsse, Schlangengift, vergiftete Nahrungsmittel, gegen feindliche Hexerei noch heute eingenommen. Im Kampf gegen HIV ist es regional immerhin gelegentlich gelungen, die traditionelle Medizin in Kampagnen einzubinden. Zur Geschichte der traditionellen afrikanischen Medizin erfährt man nichts. Einige Krankheiten werden kurz epidemiologisch abgehandelt (Malaria, die Spanische Grippe, HIV/AIDS, Ebola). Über die Tuberkulose, die in Afrika auch wegen der Komorbidität mit HIV schwer zu behandeln ist und weltweit als die häufigste zu Tode führende behandelbare bakterielle Infektionskrankheit gilt, wird nichts berichtet. Immerhin interessant, daß der erste dokumentierte Fall einer Schlafkrankheit im 14. Jahrhundert den Sultan Djata im Königreich Mali traf. Auf anderthalb Seiten geht es um die Geschichte der Pocken, wobei die Inokulation mit Material aus Pockenpusteln im Sinne einer Impfung in Afrika auch schon vor der eigentlichen Erfindung der Pockenimpfung 1798 durch Jenner üblich gewesen war. Zur interessanten Entdeckungsgeschichte des Malariaerregers bzw. der Beschreibung des gesamten Infektionszyklus durch die Nobelpreisträger Ronald Ross und Alphonse Laveran erfährt man nichts.
 
Aber das Handbuch ist ja auch keines der Geschichte der Medizin. Es wurde von Historikern, Afrikanisten, Archäologen aus den USA, England und etlichen afrikanischen Universitäten geschrieben und ist weniger als Handbuch im Sinne einer umfassenden Darstellung gedacht, sondern als Lehrbuch für Studenten der Afrikanistik im Grundstudium (untergraduate). Wohl deswegen besteht durchaus  Mut zur Lücke (Seite 6/7). So fehlt z.B. jeder Hinweis auf den Völkermord in Ruanda 1994, auf den langen Krieg zwischen Äthiopien und Eritrea oder auf die Aktivitäten von Boko Haram und al Shabaab. Aber die Weltgeschichte könne ohne Kenntnis afrikanischer Geschichte nicht verstanden werden, wird festgestellt, weswegen schwerpunktmäßig „religiöse, ökonomische, politische, kulturelle und soziale Verbindungen zwischen Afrika und dem Rest der Welt“ zur Diskussion gestellt werden. (S. 7). In 20 Kapiteln wird dem verbreiteten und oft wiederholtem Mißverständnis entgegengetreten, daß afrikanische Geschichte infolge beschränkter Quellenlage bei weitgehend fehlenden schriftlichen Aufzeichnungen jedenfalls vor Beginn der Kolonisation im 16. Jahrhundert nichts zur Weltgeschichte beitrüge und in westlich dominierter Geschichtswissenschaft vernachlässigt werde. Dabei hat die umgekehrte Blickrichtung, daß die Wurzeln der europäischen Zivilisation in Afrika, nämlich im alten Ägypten, lagen, viel für sich.
 
Erstaunlich, daß die reiche und vielfältige afrikanische Kultur und Kunst, vom Unesco Weltkulturerbe Afrikas, von den christlichen Felskirchen Äthiopiens, über die Benin-Bronzen und die Dogon Skulpturen vom Bandiagara Felsmassiv in Mali bis hin zum goldenen Rhinozeros aus Mapungubwe, überhaupt keine Beachtung finden. Dabei könnte sich afrikanisches Selbstbewußtsein mit gutem Grund auch auf die reiche Kultur des Kontinents stützen . Immerhin wird im Beitrag von Idom T. Imyabri (University of Ibadan and Calabar (Nigeria)) die Bedeutung und Entwicklung nigerianischen Hip Hops für die kulturelle Präsenz Afrikas in der globalisierten Welt von heute gewürdigt.
 
Erst seit den 1940er Jahren habe sich afrikanische Geschichte zu einem Forschungsschwerpunkt internationaler Geschichtswissenschaft entwickelt, schreibt Toyin Falola (University of Texas, Austin) und wünscht sich am Ende, daß die Chancen für regionales Wachstum in Afrika ergriffen werden, daß sich in einer pluriversalen Welt afrikanisches Selbstbewußtsein stärkt, sich eine bessere Zukunft für alle Afrikaner entwickelt und daß Afrika im 22. Jahrhundert (?) seinen angemessenen Platz im globalen Dorf finden wird. Ob der Band dazu beitragen kann? Er darf jedenfalls nicht verwechselt werden mit Robert Harms: „Africa in global History with sources“ von 2018.
Ein umfangreiches Literaturverzeichnis (27 Seiten) ermöglicht weitere Studien. In „Notes on Contributors“ werden die 19 Autoren der Beiträge kurz vorgestellt. Ein Index erleichtert die Orientierung im ausschließlich englischsprachigen Werk.
 
„Africa in Golbal History – A Handbook“
edited by Toyin Falola and Mohammed Bashir Salau, © 2022 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston, 432 Seiten, gebunden. Auch als PDF zu erhalten. ISBN 978-3-11-067781-2
142,- €
 
Weitere Informationen: www.degruyter.com