Die Botschaft der Käsemohntorte

von Erwin Grosche

Foto © Konditorei Plückebaum

Die Botschaft der Käsemohntorte
 
Winterzeit ist Caféhauszeit. Gibt es etwas schöneres als im Dezember im Café zu sitzen und den grauen Tag mit Torten und Kaffee aufzuhellen? Paderborn ist eine süße Stadt. Rund um das Paderquellgebiet findet man überall Cafés, die uns mit unterschiedlichen Konzepten zu verführen suchen. Paderborn ist wahrscheinlich die einzige Stadt in NRW, wo auch während der Ratssitzungen Kuchen und Torten gereicht werden. Auch der SCP 07 ißt in der Halbzeitpause einen Marmorkuchen um Spielfluß und Durchsetzungsvermögen wach zu halten. Haben sie schon mal die Holländer-Kirsch-Torte von Konditormeister Plückebaum probiert? So wie man einmal im Leben den Monte Scherbelino bestiegen haben sollte, so sollte man auch einmal Plückebaums Lieblingstorte probiert haben. Sie ist der Beweis, daß Gott lebt. Die Holländer-Kirsch-Torte feiert den Augenblick und erinnert uns daran, daß das Leben endlich ist. Die Sahnekirschcreme wird begrenzt durch zwei Kacheln Blätterteig. Das ist so, als wenn eine Ballett-Ttänzerin zu Heavymetal-Musik auf dem dünnen Eis der Fischteiche tanzen würde. Da hängt das Glück am seidenen Faden, aber genau das macht den Reiz der Torte aus. Blätterteig muß am Tag seiner Entstehung gegessen werden. Schon am zweiten Tag büßt er seine knusprige Konsistenz ein, und der Genuß verliert an Widerspruch. Wer will nur von Ja-Sagern umgeben sein? Ich kenne keinen anderen Kuchen, der uns so auffordert das Leben zu genießen. Ich aß jetzt mal bei Plückebaum eine Käsemohntorte. Nur die großen Konditoren wagen sich an die Herstellung dieser Schlemmerei heran. Die Geschmacksextreme Käse und Mohn sind keine Teamplayer. Das ist ein Zusammenführen von zwei Charaktereigenschaften, die man selten unter einen Hut kriegt. Ich vergleiche das oft mit den verschiedenen Temperamenten von Dörenhagen und Schwaney. Während das eine Dorf für Heimatliebe steht, glänzt das andere durch Weltoffenheit. Beide Zuwendungen haben ihre Berechtigung. Kritisch wird es nur, wenn sie übertrieben dargeboten werden. Ein zu leichtsinniger Umgang mit Mohn oder Käse kann zu katastrophalen Folgen führen. Läßt man bei der Torte zu sehr die Heimatliebe, also den Käse, den Ton angeben, wirkt alles altbacken und trocken, meint man aber durch eine übergroße Weltoffenheit zu punkten, verliert der Geschmack seine Identität und kommt an seine Grenzen. Die große Kunst ist es, eine ausgewogene Mischung zu finden. Plückebaum ist als Konditor ein Künstler. Lieber Udo Olschewski, eine Bombe zu entschärfen ist bestimmt ein Himmelfahrtskommando, aber eine Bombe zu backen, auch. Eine Käsemohntorte kann einem um die Ohren fliegen, aber ihre Schlagkraft kann uns auch glücklich machen, wenn sie richtig dosiert gereicht wird. Plückebaum weiß, was er tut. Das ist die Botschaft. Ein Zusammenleben ist nicht nur möglich, sondern auch der Sinn des Menschseins. Diese Botschaft bringt uns die Käsemohntorte nahe. Wie gut, daß diese Torte in Paderborn, unter ständiger Beobachtung von Herrn Plückebaum, ein Zuhause gefunden hat.
 
 
© 2021 Erwin Grosche