Es gibt kein Ende, das Beste kommt noch

Michael Buselmeier – „Elisabeth. Ein Abschied.“

von Michael Zeller

Es gibt kein Ende,
das Beste kommt noch
 
Ich fühle mich manchmal wie eine kaputte Stoffpuppe, aus der das Sägemehl rausläuft”. Als eine interessante literarische Zustandsbeschreibung: so könnte man diesen Satz lesen. Doch da ginge man schrecklich fehl. Es ist der Verzweiflungsschrei eines Menschen, blutig ernst gemeint, dem der Boden unter den Füßen weggerissen wird, der seinen Sinnen nicht mehr trauen darf, dem sich die Worte entziehen, die Erinnerungen auflösen. Es ist der Hilferuf einer Frau, über die die Demenz gekommen ist.
 
Der Heidelberger Schriftsteller Michael Buselmeier hat die Demenzerkrankung seiner Ehefrau, der er den Namen „Elisabeth” gibt, über die zwölf Jahre mitgeschrieben, und dabei ist ein höchst beeindruckendes Protokoll dieses Krankheitsverlaufs zustande gekommen. Mit den Fertigkeiten eines lebenslangen Autors versehen, hat Buselmeier den geistigen wie körperlichen Auflösungsprozeß des geliebten Lebenspartners festgehalten. Sicher ein Glück für ihn (das Wort in aller Vorsicht gebraucht), daß er dieser Sinnlosigkeit der Krankheit schreibend den Versuch einer Sinngebung abtrotzen kann. Und mit Gewinn für eine Leserschaft, die intime Nachrichten aus einem der Sprachlosigkeit verfallenden Krankheitsbereich erfährt. 
 
„Elisabeth” hält den lähmenden Prozeß des Sinnverlusts fest, wie er Tag für Tag fortschreitet, erlebt und miterlebt (so weit das möglich ist) von zwei Menschen, die sechzig Jahre gemeinsam ihr Leben verbracht haben, um jetzt, im Alter (beide sind über achtzig Jahre alt), entgegengesetzte Wege gehen zu müssen und dabei einander fremd zu werden.
„Ich beobachte, ohne eingreifen zu können, wie ihre Person vor meinen Augen einschrumpft, Umriss und Farbe verliert und verkümmert, zum Häufchen Elend wird.”
Und das über zwölf lange Jahre weg, die das Zeitgefühl aller Beteiligten außer Kraft setzen. Die einzelnen Phasen dieses Verfalls einer Person hält der mit hineingezogene Autor mit der gnadenlosen Genauigkeit seines Metiers fest: von den frühen, kaum beachteten Ausfällen bis hin zu den Kotwürsten in der Badewanne, weil jede körperliche Kontrolle verloren gegangen ist. Da schenkt der Autor sich und seiner Leserschaft nichts – der schlimmen Wahrheit zuliebe.
 
„Genau genommen schreibe ich hier ja weniger über Elisabeth und mich als über zwei einander eher fremde Personen, die sich in meiner Erinnerung schrittweise aufeinander zu und wieder voneinander wegbewegen, es ist eine Art Findungs- und Ablösungsprozess, aber so, daß ein Kern der Bindung fortbesteht, der sich nicht aufkündigen läßt. Wir, ich und die Kinder, sind Mitgefangene in der Demenz, sie ist zu unserer gemeinsamen Lebensgrundlage geworden.”
Schönen und beschwichtigen gehört nicht zum Metier eines Schriftstellers. Der Wahrheit auf der Spur zu bleiben, auch wenn’s weh tut: Das ist Buselmeier gerade auch in diesem Buch sich schuldig, und das hält er durch, bis zum Schluß. Der Schlußakkord, den er seinem schmerzlichen Stoff entlockt, weist in einen Bereich, der über das Leben von uns Menschen hinausweist, aber doch auch zum Menschsein dazu gehört:
 
Trotz allen schrecklichen Erlebens heißt Michael Buselmeiers letzter Satz: „Das Ende der Geschichte sollte offen bleiben. Ich könnte auch, zugegeben etwas tollkühn, schreiben: Es gibt kein Ende, das Beste kommt noch.”
Ein wichtiges, weil schonungslos offenes Buch. 
Ein Buch, das die Unersetzlichkeit von Literatur ins Wort setzt, gerade auch in den hoffnungslosesten Phasen unseres Daseins.
 
Michael Buselmeier – „Elisabeth. Ein Abschied.“
© 2021Morio-Verlag, Heidelberg ,198 Seiten, gebunden, - ISBN: 978-3-945424-86-5
18,- €
Weitere Informationen: www.morio-verlag.de