Weltveränderer und Philister

Anmerkungen zu „Marx, Wagner, Nietzsche – Welt im Umbruch“

von Ernst Peter Fischer

Ernst Peter Fischer
Weltveränderer und Philister
 
Ein paar persönliche Anmerkungen zu dem Buch
„Marx, Wagner, Nietzsche – Welt im Umbruch“
von Herfried Münkler (Berlin 2021)
 
Es ist schwierig, Gemeinsamkeiten des weltverändernden Trios aus dem 19. Jahrhundert zu benennen, das sich politisch, künstlerisch und philosophisch ausgezeichnet hat, aber das Werk des Politikwissenschaftlers Münkler erlaubt es, den großen Einschätzungen des Historikers – Wagners Idee eines Gesamtkunstwerks, die Gesellschaftsanalyse von Marx und Nietzsches Vorstellungen von individueller Freiheit – die kleine Überlegung eines Lesers an die Seite zu stellen. Wenn ich den Autor des Buches richtig verstanden habe, verachten alle drei Giganten den Winzling, den man Spießbürger oder Philister nennen könnte, und um den soll es jetzt gehen. Der Philister ist „ein Mensch ohne geistige Bedürfnisse“, wie Arthur Schopenhauer es auf den Punkt gebracht hat, und „hieraus folgt“, „daß er ohne geistige Genüsse bleibt.“ Wer heute den Naturwissenschaften verständnislos begegnet, ist genau das, nämlich ein Philister ohne Bedürfnisse und Genußfähigkeit, und seine einzigen Leidenschaften bestehen im Konsumieren und Kontofüllen, ohne zu wissen, wie man das Geld sinnvoll nutzen kann.
 
Der Name Phlilister stammt aus der Bibel, und er bezeichnet hier die Feinde der Israeliten oder der Hebräer. Das Wort trat zum ersten Mal in der oben erklärten abwertenden Bedeutung im bürgerlichen Alltag auf, als Studenten der Theologie im späten 16. Jahrhundert die von ihnen verachteten ungebildeten Menschen charakterisieren wollten. Heinrich Heine dichtete dann über „Philister in Sonntagsröcklein“, und romantische Autoren meinten mit dem Wort allgemein Gegner des Kulturbetriebs, die sie mit Barbaren und Populisten auf eine Stufe stellten. Im 20. Jahrhundert vermutete Albert Einstein, daß die Geheimdienste voller Philister steckten und in dieser Position die Herrschaft der Dummen ausüben, die sich auf die Mehrheit der Menschheit berufen kann.  
 
Wissenschaft ist eben „blödem Volke unverständlich“, wie Christian Morgenstern einmal in seinen Galgenliedern (im „Nachgelesenen“ / „Galgenberg“, womit er aber genau das Gegenteil meinte, Anm. d. Red.) geschrieben hat, und nachdem zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit großem Gedöns versucht wurde, ein „Public Understanding of Science“ zu erreichen – komischerweise auf Englisch –, lädt eine Stiftung in diesen Tagen (2021) zur Vorstellung einer Studie ein, die herausfinden wollte, wie Wissenschaft wahrgenommen wird. In der Einladung kann man lesen, daß Wissenschaft für viele ein unbekanntes Terrain mit vielen Fragezeichen ist, und offenbar weiß die Gesellschaft „wenig darüber, wie sie funktioniert.“ Man gesteht den Mangel an Bildung und versucht Hilfe über die Wege Kommunikation. Der Umgang mit der Wissenschaft bleibt ein Trauerspiel. Deutschland kann daran scheitern und seine Menschen zugrunde gehen. Marx, Wagner und Nietzsche würden sich einen grinsen.   
 
Ernst Peter Fischer
 
Mehr Informationen zum Buch: www.rowohlt.de