„Dürer war hier. Eine Reise wird Legende“
im Aachener Suermondt-Ludwig-Museum
Noch bis zum 24. Oktober Mit dem Titel „Dürer war hier“, der an den ominösen Slogan „Kilroy was here“ denken läßt, erinnert eine spektakuläre Ausstellung im Aachener Suermondt-Ludwig-Museum an ein historisches Ereignis, das ein halbes Jahrtausend zurückliegt, nämlich an eine Reise, die der bedeutendste deutsche Renaissancekünstlers in den Jahren 1520/21 in die habsburgischen Niederlande, das heutige Flandern, unternahm. Nach zwei Reisen nach Italien – 1494/95 von Nürnberg über Innsbruck in die Gegend von Trient, in den Jahren 1505 bis 1507 gefolgt von einem längeren Aufenthalt in Venedig – brach Albrecht Dürer im Juli 1520 mit seiner Frau Agnes und der Magd Susanna über Bamberg, Frankfurt, Mainz und Köln nach Antwerpen auf. Von hier aus unternahm er zahlreiche Ausflüge in andere flandrische Städte wie Brügge, Gent, Mechelen und Brüssel. Ein Jahr später kehrte er nach Nürnberg zurück.
Die sehenswerte Ausstellung gliedert sich in drei thematische Abschnitte: erstens die Reise selbst, zweitens auf der Reise entstandene Werke Dürers im Kontext von Werken niederländischer Künstlerkollegen und drittens Dürers Wirkung auf Zeitgenossen und Nachfolger.
Was die Reise selbst anbelangt, bietet die Ausstellung neben anderen interessanten Dokumenten anstelle des verlorenen Originals eine Abschrift des Reisebuchs Albrecht Dürers aus der Zeit um 1550, in dem der Künstler u.a. die Stationen seiner Reise, die Namen neuer Bekanntschaften, Ausgaben und Einnahmen und sonstige Begebenheiten verzeichnete, so daß es möglich ist, das fragliche Jahr relativ genau zu rekonstruieren. Für Künstler des 19. Jahrhunderts bot Dürers Reise reichlich Stoff, um im Sinne der damals populären Historienmalerei in idealisierender, ja heroisiernder Manier Ereignisse aus dem Leben des Künstlers darzustellen. Erwähnt seien etwa die in Aachen ausgestellten Gemälde „Albrecht Dürers Fahrt auf dem Rhein, die Uferlandschaft zeichnend“ von Joseph Lies (1855) und „Albrecht Dürer zeichnet den Antwerpener Hafen“ von Jan Antoon Neuhuys (1873), um nur zwei Beispiele herauszugreifen.
Großartig im Unterschied zu derart sentimentalen Darstellungen, die mehr von der Phantasie der damaligen Maler zeugen als von historischen Fakten, sind die Arbeiten, die Dürer während seiner Zeit in den Niederlanden schuf und die den Kern der Aachener
Fern der eigenen Werkstatt entstanden aber auch einige herausragende Ölgemälde, so etwa das Bildnis des Bernhard von Reesen, ein damals dreißigjähriger Hansekaufmanns aus Danzig (Gemäldegalerie Dresden). Dieses relativ kleinformatige Halbfigurenporträt im Dreiviertelprofil mit neutralem Hintergrund entspricht einem Bildtypus, der sich ungefähr zeitgleich auch bei einem flämischen Maler wie Quinten Massys findet, was in einem der schön gestalteten Schauräume durch eine direkte Bildgegenüberstellung spontan erfahrbar wird. Zu den Höhepunkten der Ausstellung gehört als Leihgabe aus Lissabon zweifellos Dürers eindrucksvolles Ölbild „Der hl. Hieronymus im Studierzimmer“. Es ist überliefert, daß für den greisen Kirchenvater ein dreiundneunzigjähriger alter Mann Modell gesessen habe, den Dürer mit äußerster Präzision und einem kaum zu überbietenden Realismus auf die Bildfläche gebannt hat. Melancholisch stützt der bärtige Heilige seinen Kopf auf die Hand und deutet zugleich auf einen Totenschädel, so daß diese Inszenierung umstandslos als Memento mori zu lesen ist. Wie sehr dieses Gemälde niederländische Künstler zu ähnlichen Bildern inspiriert hat, zeigen die Kuratoren der Ausstellung anhand ausgewählter Arbeiten von Lucas van Leyden, Joos van Cleve und anderen.
Schon früh setzte auch in den Niederlanden eine breite und dann lang anhaltende Rezeption der Kunst Albrecht Dürers ein. Maßgeblich in Gang gesetzt wurde sie durch Dürers Druckgrafiken – Holzschnitte und Kupferstiche –, die als „ars multiplicata“ zu einer enormen Verbreitung künstlerischer Vorstellungen und bildnerischer Formulierungen des Nürnberger Meisters beitrugen. Diese Einflüsse, seien sie motivischer oder stilistischer Art, detailliert aufzuzeigen ist das Anliegen des dritten Teils des Ausstellung. Exemplarisch sei nur Dürers berühmter Kupferstich „Adam und Eva“ von 1504 herausgegriffen, auf den sich sechs Jahre später Jan Gossart in einem gleichnamigen Gemälde bezogen und den Conrad Meid um 1510-12 in eine Skulpturengruppe aus Buchsbaum umgesetzt hat. Während es sich hier um gleichsam sinngemäße mediale Übersetzungen der Dürer-Grafik in ihrer Ganzheit handelt, wurden manchmal auch nur Einzelmotive aus dem Gesamtzusammenhang herausgelöst, so etwa, wenn Marinus van Reymerswale aus Dürers Holzschnitt „ Der Tempelgang Mariens“ (1503) nur eine einzige Figur übernimmt und in seinem Gemälde „Der Wertsachverständige“ (1535-45) zum bildbeherrschenden Akteur werden läßt.
Ohne an dieser Stelle auf weitere Details eingehen zu können, sei abschließend festgehalten, daß die Aachener Schau mit rund neunzig Meisterwerken Dürers und ebensovielen Arbeiten prominenter Zeitgenossen und Nachfolger das Prädikat „hochkarätig“ verdient, ebenso wie übrigens der fast siebenhundert Seiten umfangreiche Katalog mit zahlreichen Beiträgen ausgewiesener Fachautoren und rund fünfhundert Abbildungen. Die unbedingt empfehlenswerte Ausstellung kann in Aachen noch bis zum 24. Oktober besichtigt werden, bevor sie anschließend in die National Gallery in London wandert und dort in leicht modifizierter Form bis zum 27. Februar 2022 zu sehen sein wird.
Suemondt Ludwig Museum
Wilhelmstraße 18 - 52070 Aachen
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TEL.: +49 241 47980-30
Weitere Informationen: www.suermondt-ludwig-museum.de
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