Ausstellungen 2008-2019
im Skulpturenpark Waldfrieden
Katalog und Chronik in einem opulenten Bildband
Von Johannes Vesper
Fünfunddreißig Künstler wurden seit seiner Gründung 2008 im Skulpturenpark Waldfrieden zu Wuppertal ausgestellt. Sir Tony Cragg, seit 44 Jahren in Wuppertal ansässig, ist ein bildender Künstler, der mit seiner Originalität, mit seinem Material, mit seinen Skulpturen „am Verständnis der Welt“ arbeitet. Skulpturen verändern den Ort, an dem sie stehen und Tony Cragg will mit Kunst die Welt verändern. Materieller Konsum, Gewinnmaximierung um jeden Preis, diktatorische Ökonomie seien unwürdige Antworten auf die menschliche Existenz, sagte er mir vor Jahren schon in persönlichem Gespräch. Seine Skulpturen sind keine Herrschaftssymbole (Typ Bismarck- oder Generalsdenkmal), dienen auch nicht Erinnerungen an große Menschen (Typ Goethe- / Schillerdenkmal). In der Ab- bzw. Nachbildung von irgendetwas sieht er keine Aufgabe der Bildhauerei mehr, betonte er jüngst bei einer Ausstellungseröffnung in seinem Park. Aber die weite Phantasie des Bildhauers bringt formal Neues in die Welt und weckt Emotionen in einer „Bandbreite und Tiefe, die nicht durch das Werk eines einzelnen Bildhauers“ zum Ausdruck gebracht werden kann. So entstand die Idee, das Publikum teilhaben zu lassen, „an dem unglaublichen Reichtum, den die Skulptur zu bieten hat“ (Anthony Cragg im Vorwort des jetzt erschienenen Bandes „Ausstellungen – Exhibitions 2008-2019. Skulpturenpark Waldfrieden“).
Um all das zu zeigen wurde 2008 nach rund vier Jahren Umbau der Skulpturenpark Waldfrieden auf den bewaldeten südlichen Höhen und Abhängen Unterbarmens eröffnet. Bei dem Areal handelt es sich um den ehemals privaten Park der Villa Waldfrieden. Der Lackfabrikant Dr. Kurt Herberts hatte das Anwesen inklusive Vorgängerbau 1940 erworben, der den Luftangriffen auf Barmen 1943 zum Opfer fiel. In den Jahren 1947-1950 baute er für sich die Villa nach den Entwürfen des Architekten Franz Krause (1897-1979) neu auf. Vom Vorgängerbau blieb nur das Kellergeschoß. Franz Krause kam vom Neuen Bauen der 20er Jahre her, auf das er sich aber beim Bau dieser exklusiven Villa nicht bezog. Eher ließ er sich beeinflussen von „organischer“ Architektur im Gefolge des Anthroposophen Rudolf Steiner. Das Haus schmiegt sich an den Hang, rechteckige Formen sucht man vergebens. 1991 hatte die Familie Herberts das Anwesen verlassen. Nach Leerstand von 15 Jahren erwarb es Tony Cragg, restaurierte Villa und Park unter sensibler Berücksichtigung des ursprünglichen Entwurfes von Franz Krause, der später an der Werkkunstschule in Wuppertal lehrte. So wurde aus der ehemaligen Privatvilla der Sitz der Tony Cragg Foundation.
Die in Serpentinen zum Park hin ansteigende Straße, an deren Rand erste Skulpturen bereits Neugierde wecken, wurde inklusive des eindrucksvollen Einfahrtstores instandgesetzt. Der Besucherparkplatz entstand auf dem ehemaligen privaten Tennisplatz des auch zur Zeit des Nationalsozialismus erfolgreichen Großindustriellen, der gleichwohl in seinem Unternehmen Künstler wie Oskar Schlemmer und Willi Baumeister untergebracht hatte, beide im Nationalsozialismus unter Druck stehend und mit Franz Krause befreundet.
Um das Haus herum erstreckt sich der Park, dessen Rasen wie ein Amphitheater zum Buchenhochwald ansteigt. Henry Moores „Sitzende“ hat dort ebenso einen Platz gefunden wie Thomas Schüttes „Vater Staat“ Asyl erhielt. Einwahrhaft pralles Vergnügen war einen Steinwurf weiter Erwin Wurms erzählendes „House“. Tony Cragg restaurierte auch die grandiosen Bruchsteinmauern und Nebengebäude, und schuf mit großer Sensibilität gegenüber dem Vorgefundenen den Skulpturenpark mit allem, was dazu nötig war. So entstand das Kassengebäude, zu dem man über eine hohe Stahltreppe aufsteigt. Es entstand das Café Podest mit Glasanbau und Glaseingang. In dem älteren Gebäude hatte seinerzeit das Personal gewohnt. Vor allem aber wurden mittlerweile drei Ausstellungshallen gebaut, deren erste auf dem ursprünglichen Schwimmbad der Villa als leichter, eleganter Glasquader entstand. Das Schwimmbecken darunter wurde so zum Depot. In den Scheiben der transparenten Halle spiegeln sich die Buchen, und in den Buchen singen bei Konzerten die Amseln in der Abendsonne. Das Flachdach ruht in Anlehnung an Mies van der Rohe auf innenstehenden Stahlpfeilern. Hier waren u.a. Joan Miró, Didier Vermeiren, Norbert Kricke, Klaus Rinke, John Chamberlain, Richard Long, Joseph Beuys und wiederum Henry Moore zu Gast.
Die intimere zweite Ausstellungshalle von 2013, zur Buschstraße hin gelegen, bietet durch ihre Glasfront dem ankommenden Besucher bereits Blicke von außen und weckt so Neugierde auf die Ausstellung im Inneren, das u.a. Mbiti, Winkler und Weiß, Christiane Löhr, die filigranen Wunderwerke von Luise Kimme und Gereon Leppers gewaltige kinetische Arbeiten beherbergt hat.
Von der dritten Ausstellungshalle aus, erbaut 2017, hoch oben im Park gelegen, schweift der freie Blick übers Tal der Wupper auf die nördlichen Höhen jenseits des Taleinschnitts. Auch bei diesem geschwungenen, gläsernen Pavillon tragen schlanke Stahlstützen das leichte Flachdach. Hier kamen Arbeiten von Markus Lüpertz, Ichwan Noor, Otto Boll und Heinz Mack* zur Geltung
Sean Scully* gehört zu den Künstlern, die den ganzen Skulpturenpark mit allen drei Ausstellungshallen und Parkgelände „bespielt haben“. (*noch nicht im Buich, aber wichtig für die Ausstellungshistorie des Skulpturenparks)
Dem Wald des Parks gilt Tony Craggs ganze Liebe. Waldpflegerische Maßnahmen, Anpflanzungen von Bäumen, führten dazu, daß in dem im Kern bergischen Buchenwald inzwischen mehr als 50 Baumarten wachsen, vom Mammutbaum bis hin zu den unterschiedlichsten Magnolien, Ginkgo, von japanischem Ahorn bis hin zu Trauerbuchen, Flieder und Rhododendron. Sie alle tragen und blühen zu unterschiedlichen Jahreszeiten, zeigen im Herbst mit der Färbung ihres Laubs ein höchst differenziertes Bild der Natur, während sie in Stamm und Krone selbst skulptural anmuten. Steigt man mit Tony Cragg bergan, weist er stolz auf das Nest der Bussarde in den hohen Buchen hin, erzählt, wie vom Borkenkäfer geschädigtes Nadelholz gefällt werden mußte, die entstandene Lichtung neu bepflanzt wurde mit Bäumen und Sträuchern aus aller Welt die für das Klima des Bergischen Landes besonders geeignet sind. Das all geschieht seit Jahren in Zusammenarbeit mit dem Arboretum im Burgholz und einer eigens angestellten Waldbiologin. So entstehen mythische Orte, wenn der Besucher im Wald und auf seinen Wiesen Skulpturen entdeckt, vor ihnen stehen bleibt, sie aus wechselnden Blickrichtungen bei unterschiedlichem Wetter und Lichtverhältnissen betrachtet und sie beim Weitergehen im Wald wieder verschwinden bevor neue auftauchen. Besonders auch im Winter, schweifen unbehindert durch Laub die Blicke weiter durch den Wald und Schnee auf Ästen und Skulpturen ruft noch mal eine ganz andere Stimmung hervor. Der historische Begriff des „Gesamtkunstwerkes“ scheint hier in ganz anderem Zusammen als ursprünglich präzise zu zutreffen. Hier „fliehen sich Natur und Kunst“ nicht, bilden im Gegenteil einen musealen Raum, in dem Kunst präsentiert wird und lebt. Konzerte, Lesungen Vorträge, finden im Park nicht nur in den Ausstellungshallen, sondern auch unter freiem Himmel bzw. unter dem Gewölbe der Baumkronen statt. Vor einigen Jahren gab nicht nur eine Oper in kammermusikalischer Besetzung („Die Geschichte vom Soldaten“ von Strawinsky) sondern gar ein Orgelfestival im Grünen (Benefizkonzert „Gitarren statt Gewehre“ zu Gunsten von Kindersoldaten im Kongo). Kinder und Jugendliche haben im Park die Möglichkeit, in eigenen Programmen Kunst und Natur zu erfahren, sich mit ersten Schritten zum Parnass („Gradus ad Parnassum“) den Musen zu nähern. Hier bekommt der klassische Berg des alten Griechenland oberhalb Delphis Konkurrenz. Damals waren dort die Göttinnen der Künste zu Hause, heute entfalten sie auf den Hängen der Villa Waldfrieden, dem Unterbarmer Parnass sozusagen, ihre Aktivitäten.
Laut Wikipedia gibt es 15 Skulpturenparks in Deutschland. Heinz Mack wies bei der Eröffnung seiner Ausstellung jüngst darauf hin, daß Flair und Atmosphäre dieses Parks allerdings einzigartig sei. Tatsächlich finden sich vor allem in England und den USA größere Skulpturenparks, aber die Lebendigkeit des hiesigen stellt doch etwas Besonderes dar. Hier entdeckt man nicht nur Skulpturen von Tony Cragg, wie sie auch in der ganzen Welt, von Sao Paulo über Houston , New York, Paris, Berlin, Wien in Europa und auch im fernen Osten zu sehen waren oder sind. Überall scheint Unterbarmen zu sein. Umgekehrt dient der Waldfriedenpark nämlich seit seiner Eröffnung auch als Ausstellungsort für die ganze Welt. Seit der Eröffnung wurden 35 Bildhauer aus aller Welt eingeladen, hier auszustellen. Jean Dubuffet, Stephan Balkenhol und Jaume Plensa um nur einige weitere zu nennen, waren hier 2008-2019 zu sehen und mit den Ausstellungen ihrer Werke zu Gast bei Tony Cragg. Alle diese Ausstellungen wurden jetzt in einem schweren Fotoband vom Skulpturenpark Waldfrieden unter der Redaktion von Cora Faßbender zusammengestellt. In herrlichen Fotos kann die Ausstellungsgeschichte noch einmal nachvollzogen werden. Kurze Lebensläufe der Bildhauer ergänzen die Bilder. Ein Essay von Carmen Klement zum Park, seiner Geschichte und seiner Skulpturen stimmt auf den Besuch ein. Alles in Deutsch und Englisch. Diese bildnerische Anthologie zur zeitgenössischen Skulptur bietet zusammen mit dem Textband „Zeitgenössische Skulptur- Künstlertexte und Interviews“, herausgegeben von John Woods und Julia Kelly, (Hatje Cantz Verlag 2020) wichtige Aspekte zur Bildhauerkunst unserer Zeit und spiegelt über die eigenen Werke hinaus Intentionen und Aktivitäten Tony Craggs und seiner Foundation.
„Ausstellungen – Exhibitions 2008-2019. Skulpturenpark Waldfrieden.“
Essay von Carmen Klement, Redaktion: Cora Faßbender, Lektorat Michael Amman. Gestaltung Klaus Untiet. Fotos: Charles Duprat, Süleyman Kayaalp, Dr. Martina Niehls-Sahabandu, Michael Richter - Deutsch und Englisch.
© 2021 Cragg Foundation Skulpturenpark Waldfrieden, 332 Seiten, 28 x 28 x 3,2 cm - ISBN 978-39821839-0-9
45,- €
Weitere Informationen: www.skulpturenpark-waldfrieden.de/
Fotos + Redaktion: Frank Becker
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