Atemlos

Wuppertal: "Fressen Lieben Kotzen" - Ein Theatermonolog von Cornelia Gellrich

von Frank Becker
Das Fleischfett um ihre Seele herum...

Olga Nasfeter im Monolog einer Unglücklichen
"Fressen Kotzen Lieben"

Ein Solo über Bulimie - von Cornelia Gellrich
Premiere am 27.8.2008 im Container vor dem Schauspielhaus

Inszenierung: Markus Höller

Bulimie ist, so der Text des Monologs einer namenlosen Frau (Olga Nasfeter), die "Anarchie des Körpers". Das "Fleischfett" des ungeliebten Leibes um ihre wunde Seele herum ist ihr Qual und ständige Herausforderung. Daß sie in Cornelia Gellrichs Stück Schauspielerin ist, kann als nebensächlich, sollte als zufällig betrachtet werden - das Problem ist sicher nicht an diesen Beruf gebunden. Obwohl: eine gewisse Anfälligkeit für Suchtverhalten scheinen Autoren bei Schauspielern lokalisiert zu haben, hat doch am selben Tag in Wuppertal nur wenige Stunden zuvor die Aufführung eines anderen Monologs das Problem der Alkoholabhängigkeit eines Schauspielers zum Inhalt gehabt (die Rezension zu dieser Aufführung lesen Sie ⇒ hier).  

Entsetzliche Leere

Aber zurück zu dem Stück mit dem kompromißlosen Titel "Fressen Lieben Kotzen". Wir treffen eine zornige

Olga Nasfeter - Foto: Wuppertaler Bühnen
junge Frau, attraktiv, durchaus schön zu nennen, die voller Selbstzweifel und Selbstablehnung dieser objektiven Schönheit selber massives Mißtrauen entgegenbringt. Der Argwohn gegen den geliebten Mann, auch vom Bau, entzündet sich an jeder vermuteten Zuwendung an andere Frauen, schlägt um in Haß - nein, nicht
gegen sich - gegen ihren Körper, mit dem sie in bitterem Dialog steht. Diesen widerwärtigen Körper zu erziehen, ist das Ziel, ist das Symptom dieser Sucht, maßlos zu fressen und sich das Gefressene umgehend wieder selbst aus dem Leib zu zwingen, bevor es umgesetzt werden kann: Bulimie ist die Sucht, sich verzweifelt vollzustopfen und alles nicht einmal Genossene mit dem Finger im Hals wieder auszukotzen. Dahinter steht schreckliche Unglücklichkeit, eine entsetzliche Leere - empfunden nur von der Betroffenen (95 % der an Bulimie Erkrankten sind Frauen), nicht sichtbar für ihre Umwelt. Die Kranken wissen ihre Situation geschickt und oft lange zu verbergen.

Die Seele leidet - der Körper mit

Eine Vier an erster Stelle der Anzeige der Waage ist ihr Ziel - irgendwann, so schön, so dünn zu sein: "Wenn ich wüßte, was Du willst, das ich bin - ich täte alles für dich! - Eine Vier vorne auf der Skala der Waage und ein liebevoller Blick von Dir - dann kann ich sterben!". Gewiß, theatralisch. Aber unsere Protagonistin ist ja auch Schauspielerin. Olga Nasfeter redet sich in Rage, getrieben, ohne Punkt und Komma brechen die Worte, die Sätze aus ihr heraus. Sie macht die krankhafte Eifersucht, das Gefühl der Minderwertigkeit glaubhaft, vermittelt das Bild eines bejammernswerten Menschen, dessen Schaden weniger körperlich - wenn die Auswirkungen auch körperlicher Art sind - als seelisch zu sehen und zu therapieren ist. Die Angst vor dem Verlust der Liebe löst das Verhängnis aus - sich aus dem Maelstrom dieser Qualen zu befreien, ist ein erreichbares Ziel, wie Stephan Rolf vom

Olga Nasfeter - Foto © Frank Becker
Sozialpsychiatrischen Zentrum in der anschließenden Gesprächsrunde bestätigt.

Detailbeschreibungen

Die Detailbeschreibungen der Rituale der Körperpflege und der Morgentoilette erinnern heftig an Mario Vargas Llosas "Lob der Stiefmutter", wenn hier auch zwanghaft anstatt lustvoll. Beinahe lustvoll hingegen wirkt die ebenso detailverliebte Beschreibung des erzwungenen Erbrechens als eines fast erotischen Vorgangs.
Olga Nasfeter entäußert sich, von Markus Höller in Szene gesetzt, veritabel anstelle der Unbekannten, nimmt für fast 35 atemlose Minuten das Schicksal ihrer Rolle überzeugend auf sich. Das kann man sicher nicht jeden Tag tun. Am 10. September ist die nächste Aufführung. Das Stück kann aber auch gebucht werden.




Weitere Informationen unter: www.wuppertaler-buehnen.de