Applaus, Blumen, Bravi und Bravissimi

Alban Gerhardt und das Sinfonieorchester Wuppertal

von Johannes Vesper

© Alban Gerhardt
Applaus, Blumen, Bravi und Bravissimi
 
Alban Gerhardt, Violoncello und das Sinfonieorchester Wuppertal
unter seinem GMD Patrick Hahn Im ersten Sinfoniekonzert der
neuen Saison
 
Sonne, Sonntag, das Publikum ergeht sich auf der Freitreppe vor der Stadthalle, sucht digitale Impfnachweise, zückt Mobiltelefone, um sie abzustellen und strebt hinein. Im gut gefüllten Saal -auch die Emporen sind geöffnet- bleiben nur noch wenige Plätze frei. Wieder wurde die Bühne in den Saal hinein verbreitert. Das Orchester spielt nach wie vor mit Masken bzw. die Bläser in vorgeschriebenem Corona-Abstand. Welch ein Glück, daß bei den regelmäßigen Routinekontrollen das Orchester bisher von positiven Tests verschont blieb.
 
Zu Beginn gab es von Einojuhani Rautavaara (1928-2016) „In the Beginnings“. Der Komponist gilt nach Jean Sibelius als der bedeutendste Komponist Finnlands im 20. Jahrhundert. Für sein letztes Werk, komponiert wenige Wochen vor seinem Tod, uraufgeführt 2017 in Kaiserslautern, mutet der Titel seltsam an. Musikalisch ruhig entwickelt sich aus der Tiefe die orchestrale Sprache. Aufsteigende Flötensechzehntel erinnern an Ravel. Das Thema wird zunächst von den Violinen vorgetragen unter auf- und abschwellenden Paukenwirbeln. Wie ein Strom fließt die Musik, wird breit, groß und endet abrupt. Alles andere als atonal, zwölftönig oder seriell, wird hier in einer rückwärtsgewandten neoromantischen Orchestersprache finnisch kontemplativ das Ende oder gar die sich anschließende Ewigkeit behandelt. Eindrucksvolle Musik
 
Beim Umbau der Bühne wurde erst einmal das ca. zwei Meter lange Podium für den Cellisten aufrecht auf einer Sackkarre hereingefahren. Die hebräische Rhapsodie für Violoncello und Orchester von Ernest Bloch (1880-1926) aus dem Jahre 1915/16 ist vielleicht sein bekanntestes Werk und wurde fertiggestellt, kurz bevor er die Schweiz in Richtung USA verließ. Das Violoncello stellt hier die Stimme König Salomos dar. Als Programmmusik geht es in dieser Musik des jüdischen Lebens um ihn und seine Psyche. Klar hell und kräftig beginnt das Violoncello, spricht bald ausdrucksvoll aus der Tiefe, während das Volkes (Orchester) unter seinem Dirigenten schweigt und hört, bevor es in den Disput eintritt und sich mit herrlichen Soli der Holzbläser dann des gesamten Volkes der Dialog zwischen Cello und Orchester entwickelt. Klezmerelemente, Sextolen und Quintolen im Wechsel, herrliche Melodik: all das schlägt die Zuhörer in den Bann. Kontrabässe, Kontrafagott und Tuba bedingen durchaus auch dunkle Stimmungen, die vom tröstlichen Cello aber aufgefangen werden. „Wir haben alle Anweisungen und Vorgaben bezüglich Tempo, Dynamik und Agogik genauestens eingehalten, auf das oft übliche Pathos verzichtet“ berichtete der Cellist im Gespräch. Das Stück wurde dadurch ca. 2 Min kürzer als normal, transparent und immer durchhörbar. Herrschertum und Emotionalität Salomos spiegelten sich im edlen, seelenvollen Klang des Solocellos. Alban Gerhardt spielt auf einem Violoncello von Matteo Gofriller von 1710 und mit den großen Orchestern der Welt unter den berühmtesten Dirigenten. In Wuppertal ist er kein Unbekannter. Schon 2003 spielte er mit George Hanson das Cellokonzert von Anton Rubinstein ein, erhielt dafür einen ECHO-Klassik Preis und 2018 war von ihm hier die Sinfonia Concertante für Cello und Orchester von Sergej Prokofjew zu hören. Am Ende heute brach nach langer Stille endlich starker Applaus los, den die Musiker schon erwartet hatten und als Zugabe Antonin Dvoraks „Waldesruhl“ für Cello und Orchester auflegten. In samtigem PP synkopisch-verschoben erklingt die herrliche Kantilene des Violoncellos in schwebendem Rhythmus, und beginnt Zwiegespräche mit den Holzbläsern, sozusagen den Vögeln des Böhmerwaldes. Nach wunderbarem Flötensolo klopft die Oboistin diskret Beifall. Zu Recht! Gesteigerter Applaus, Blumen, Bravi und Bravissimi.
 
Nach der Pause geht es mit dem Wald musikalisch weiter. Anton Bruckners 4. Sinfonie, von ihm selbst „romantisch“ betitelt, wurde früher gerne als Programmmusik des Waldes verstanden. Über dem Teppich des Waldbodens also bzw. über leisem Tremolo der Streicher beginnt sie mit dem immer heiklen, hier aber unproblematischen Hornruf in fallender Quinte. Bald entwickelt sich daraus das vollständige erste Thema mit den charakteristischen Triolen-Abgang. Mit ihnen stürmt das gesamte Orchester oft herauf und herunter. Beglückend wie unter dem Dirigat von Patrick Hahn die wirklich großamplitudige Dynamik des Orchesters vom zartesten pp bis zu prächtigen fff-Blechakkorden gelingt. Die Sinfonie wurde offensichtlich weniger strukturell als eher melodiös aufgefasst und die den Satz beherrschenden Triolen folgten eher einer großen Linie, als daß sie die die Struktur der Musik offenlegten. Cellokantilenen, ein inniges zweites Thema in den Bratschen, beseelte Holzbläser: Diese kraftvolle Sinfonie der Spätromantik zählt mit ihrer unproblematisch-natürlichen, positiven Grundstimmung nicht zufällig zu den beliebtesten des Komponisten. Endlich stimmen die Blechbläser gar einen Choral an und im Gegeneinander von dramatischem Blech und ländlerischem Nebenthema geht der Satz zu Ende.
Stimmungswechse: Im Trauermarsch des 2. Satzes klagen Celli auch die Bratschen mit inniger Kantilene und nehmen das Quintenmotiv des ersten Satzes wieder auf. Ernste und großartige Episoden wechseln miteinander auch wenn man zwischendurch glaubt. den Bach im Wald sprudeln zu hören. Mit leiser und langsamer Paukenquarte pendelt der Satz aus.
Bewegte Jagdhörner schmettern temperamentvoll das kurze, punktierte Motiv zu Beginn des 3. Satz, der eigens für die 2. Fassung 1878/78 - insgesamt 5 Fassungen! - dazu komponiert worden ist. Das tat er aus einer Unsicherheit heraus, war doch die 3.. Sinfonie bei ihrer Uraufführung 1877 sozusagen mit Pauken und Trompeten durchgefallen. Das Publikum hatte in Scharen den Saal verlassen. Kein Wunder, daß er alles tun wollte um ein solches Fiasko nicht noch ein zweites Mal zu erleben.
Das Finale beginnt mit pochenden Bässen. Dramatisch wechseln sodann ernstes Blech und österreichische Ländler, zuletzt entwickelte sich eine lange dynamische Steigerung zur stehenden FFF Schlussapotheose, und Schluß. Das Publikum fiel sofort in stehenden, donnernden Applaus mit Bravi und begeisterten Pfiffen.
Und freut sich auf das 1. Familienkonzert am 26.09.21 (Jack und die Bohnenkranke) und das 2. Abonnementskonzert am 24.10. und 25.10.021 (Tanz am Abgrund).