Wo das Dämonische in unserem Leben seinen Sitz hat

Thomas Wagner über die Herkunft des Teufels in Religion und Gesellschaft

von Uwe Blass

Collage © Jana Fischer

Wo das Dämonische in unserem Leben seinen Sitz hat
 
Thomas Wagner über die Herkunft des Teufels
in Religion und Gesellschaft
 
Er hat Hörner, einen Schwanz, einen roten Oberkörper, und seine tierischen Extremitäten sind oft von Feuer umgeben. So oder so ähnlich wurden dämonische Wesen bereits seit dem 3. Jh. v.Chr. als Unterweltsbewohner verstanden. In der Spätzeit des Alten Testaments (6.-4. Jh. v.Chr.) gibt es dann eine Phase, in der die Unterwelt als irrelevant gedeutet wird. Das ändert sich mit der Übernahme der Hades-Motivik in Zeiten griechischer Vorherrschaft über den vorderen Orient wieder. An diese Motivik können Höllenvorstellungen im Christentum dann anschließen. In Filmen des 20. und 21. Jahrhunderts sind sie allgegenwärtig. Wir sprechen von Teufel, Satan oder Lucifer, einem einst gefallenen Engel, der uns Menschen seit jeher begleitet, ängstigt und doch so wichtig für uns ist. Dr. Thomas Wagner, Privatdozent in der Evangelischen Theologie und Fachmann für das Alte Testament weiß mehr über seine Geschichte, die bis heute auch im öffentlichen Raum sichtbar ist.
 
Im Alten Testament ist der Teufel noch gar nicht so böse. Er ist ein Engel, der einen für den Menschen problematischen Aspekt Gottes verkörpert, nämlich den, des Überwachens und Strafens. Erst im Neuen Testament ist er eindeutig böse.
„Der Teufel tritt erstmals in Hiob 1 und 2 auf und wird dort als Spion dargestellt“, beginnt der Theologe, „der unbemerkt das Verhalten der Menschen beobachtet und seine Erkenntnisse dann an Gott weitergibt.“ Dabei müsse man die Geschichte auch immer literaturwissenschaftlich betrachten, denn die Geschichte Satans, der Hiob letztendlich Leid zufüge, sei eine erst später zugefügte Rahmenhandlung, durch die Gott entlastet werde. Ursprünglich greife Hiob Gott als Verursacher von unbegründetem Leid direkt an.
 
Wo kommt der Teufel eigentlich her?
 
„Der Teufel ist eine Variante einer in allen antiken Kulturen auftretenden Gestalt, die das Böse verkörpert“, erklärt Wagner. „Unser deutscher Begriff lehnt sich an das tiufal an, das im Gotischen als diavulus, im Lateinischen als diabolus, im Griechischen als διάβολυς erscheint. Einen direkten Bezug zu den biblischen Schriften gibt es zunächst nicht. In den hebräischen Schriften wird Satan – der Begriff ist als ‚Widersacher‘ zu übersetzen – als einer der Söhne Gottes dargestellt. Der Teufel ist ein Unterweltwesen, das der germanischen Mythologie entstammt und mit dem biblischen Satan identifiziert wurde.“
 
Ein verlorener Sohn Gottes?
 
Ist der Teufel also ein verlorener Sohn Gottes? „Könnte man so meinen“, beginnt Wagner, „aber ganz am Anfang war das noch nicht so. Der Ursprung der Entwicklung ist in der Religion der Zeit des 8. oder 7. Jahrhundert v. Chr. zu suchen. In dieser Zeit wurden die Sterne im unteren Himmel, also das, was wir sehen, wenn wir nach oben schauen, als Repräsentanten von Gottheiten angesehen. Jeder Gottheit wurde ein Stern zugewiesen und auch die verstorbenen Ahnen wurden dort oben sichtbar. Dieses klassische Phänomen wird in der hebräischen Bibel mit dem ‚Heer des Himmels‘ und dem Gottestitel ´Jahwe zewa ot`, also der Herr der Heerscharen, wie es in der deutschen Übersetzung heißt, identifiziert.“ Die in der nordwestsemitischen Tradition schon seit 2000 v. Chr. bekannte Vorstellung eines Kreises von Göttersöhnen wurde in späteren Zeiten auf dieses Heer des Himmels übertragen. Im weiteren Verlauf der Religionsgeschichte wurde mit der Erzählung vom Fall der Engel die Vorstellung von Unterweltwesen, die in die Menschenwelt eindringen können, auf einen Teil der Göttersöhne übertragen. An dieser Entwicklung hatten die priesterlichen Verfasser von Genesis 1 maßgeblichen Anteil, da sie in ihrer Schöpfungserzählung berichteten, daß der Lebensraum der Menschen dauerhaft vor dem kosmischen Chaos abgeschlossen ist. Wie sollte man nun aber das Leid der Menschen erklären? Hier wird die Figur des Teufels als einer der Göttersöhne wieder wichtig. „In der zwischentestamentlichen Zeit gibt es Göttersöhne, die wir dann Engel nennen. Die werden mit griechischen niederen Gottheiten identifiziert, sei es Eros oder Nike, die wir klassisch als geflügelte Menschenwesen kennen. So werden dann Engel dargestellt“, erklärt der Wissenschaftler. „Und dann gibt es eine Rebellion gegen Gott! Die Göttersöhne fragen Gott danach, warum sie den Menschen dienen sollen, wo sie doch die direkten Söhne sind.“ Die Göttersöhne setzten sich mit ihren Handlungen gegen Menschen von der Herrschaft Gottes ab und versuchten, die Menschen in ihre Gewalt zu bringen. „Mit der Versuchung Jesu, wie sie in den synoptischen Evangelien geschildert wird, fand die Transformation dann ein Ende. Hier wird Satan bereits als Gegenspieler Gottes und Herr über die Dämonen dargestellt.“
 
Der dritte kosmische Raum
 
„In der christlichen Teufelsgestalt werden im Laufe der Kulturgeschichte des Abendlandes unterschiedliche Konzepte vereint, die den Ursprung des Bösen, das Einfluß auf das menschliche Leben nimmt, erklären“, fährt er fort.  „All diese Konzepte bauen auf der Vorstellung auf, daß es neben der Lebenswelt Gottes, also dem Himmel, und der Biosphäre, in der wir Menschen existieren, einen dritten kosmischen Raum gibt. Dieser wird als Unterwelt mit ihren dann wiederum einzelnen Orten verstanden. Über sie herrscht eine Gottheit – sei es in den semitischen Kulturen Ereškigal, oder in den indogermanischen der Teufel –, die ihre Diener, also die Dämonen, in die Biosphäre aussendet, um Menschen in die Unterwelt zu überführen.“ Egal ob nun die Dämonen durch tödliche Krankheiten oder als wilde Tiere, die den Menschen reißen, agieren, sei besonders zu beachten, daß die jeweiligen Ursachen für das menschliche Leid außerhalb des menschlichen Handelns lägen und der Mensch dementsprechend keine Verantwortung für die Existenz des Bösen trage.
 
Lucifer, der böse Morgenstern
 
Der Name Lucifer bedeutet im lateinischen eigentlich „Lichtbringer“. Woher kommt dann die Verbindung mit dem Teufel? „In der lateinischen Tradition gilt die Gestalt als Verkörperung der Venus, also des Morgensterns. Dieser gilt als aufsteigender Stern, was natürlich mit der Beobachtung des Morgenlichts einhergeht. Diese Vorstellung ist auch biblisch in Jes. 13-14 belegt, allerdings ist sie dort negativ konnotiert. Mit ihr wird der König von Babylon verbunden, der versuchte, zum Göttersohn zu werden.“ In der zwischentestamentlichen Literatur werde diese Vorstellung dann mit dem ‚Fall der Engel‘ verbunden, so daß die Gestalt des Morgensterns als eine sich gegen die Menschen wendende Engelsgestalt verstanden werde. „Hieronymus übersetzt in der Vulgata, also der lateinischen Bibelübersetzung, die von der Alten Kirche an bis in die frühe Neuzeit die europäische Kulturgeschichte prägte, das hebräische Wort helel (‚Morgenstern‘) schließlich mit Lucifer. Damit war die Identifizierung der Gestalten vorgegeben, die dann vor allem in Kreisen, die sich gegen die römisch-katholische Kirche wendeten, wie z.B. die Katharer, mit dem Teufel in Verbindung gebracht.“ Bereits im Ersten Henochbuch, einer jüdischen Schrift des 5./4. Jh. v.Chr., sei darüber hinaus noch zu beobachten, daß die Engel alle in abgelegenen himmlischen Regionen lebten. Erst mit der Aufnahme griechischer Hades-Vorstellungen in den dann folgenden Jahrhunderten kehre das Konzept der Unterwelt als Herrschaftsraum des Teufels wieder in die biblische Tradition zurück.
 
Es gibt Sphären, die der Mensch nicht wahrnehmen kann
 
Existiert der Teufel nun aber wirklich oder ist er nur ein Bestandteil eines überholten Weltbildes? „Schon die vorderorientalischen antiken Kulturen wußten darum, daß es Sphären gibt, die Menschen nicht oder wenn, dann nur temporär wahrnehmen konnten“, sagt Wagner. In einem der Bücher der Weisheit, dem sogenannten Kohelet aus dem 3. Jahrhundert v. Chr., werde schon darüber reflektiert, daß die Wahrnehmungsfähigkeit des Menschen beschränkt sei und ihm der Überblick fehle. „Trotz aller ja auch vielfach erfolgreichen Versuche, Kausalitäten zu verstehen, Einflussfaktoren zu bestimmen und damit Prozesse prognostizieren zu können, stehen wir Menschen immer wieder vor dem Problem, daß unser Wissen beschränkt ist und wir Impulse, die derartige Prozesse auslösen, nicht kennen.“ Daraus resultiere auch heute noch ein Bedürfnis, diese Beschränktheit menschlichen Lebens personalisieren zu können. „Wenn wir dann über dämonische Wesen nachdenken“, fährt er fort, „dann passiert eigentlich dasselbe, daß Wesen auf dieser Erde unterwegs sind, die in dieser dämonischen oder auch göttlichen Sphäre sind, die wir einfach nur nicht wahrnehmen können.“ Diese Fähigkeit von Menschen, in eine andere Sphäre schauen oder hören zu können und auf diese Weise die göttliche Welt wahrzunehmen, höre biblisch in der persischen Zeit auf, sei aber bis heute ein spannendes Thema, an das sich der gesamte Science-Fiction-Bereich anlehne.
 
Der Teufel erinnert uns an unsere Endlichkeit
 
Der Teufel setzt Grenzen und erinnert uns an unsere Endlichkeit. In Bezug auf die christlichen oder eher abrahamitischen Religionen stimmt der Wissenschaftler dem zu. „Der Teufel ist dann als ein Wesen, das den Menschen irgendwann mit Leid konfrontieren wird, also Schmerzen mit sich bringt, anzusehen, und die Tatsache des Todes wird damit gleichzeitig personifiziert.“
 
Der steinerne Dämon über dem Eingang
 
Obwohl ihn die Menschen immer gefürchtet haben, sehen wir Darstellungen des Teufels an vielen Kirchen und Kathedralen. Dazu Wagner: „Die Darstellung von Teufeln und Dämonen hat in der mittelalterlichen Tradition seinen festen Ort an den Portalen der Kirchen.“ Sie seien zwar sichtbar, zugleich aber unbeweglich, der Mensch spüre lediglich seine Wirkung. „Das Bewußtsein über die Existenz des Bösen ist da“, sagt Wagner, „und wenn wir darüber nachdenken, daß das an den Portalen von Kirchen ist, heißt das ja auch, daß der dahinterliegende Raum vor diesen Wesen geschützt ist.“
Die Tradition der gemauerten Dämonen über Eingangsbereichen hat sich bis in das späte 19. Jahrhundert gehalten. „Das finden wir auch heute noch“, sagt der gebürtige Solinger. „Wenn man durch die Wuppertaler Nordstadt geht, sieht man ganz viele gründerzeitliche Häuser, in deren Portale diese dämonischen Gestalten eingearbeitet sind, so z.B. in der Neuen Friedrichstraße. In die Schwellen des Hauses wird das Abbild eines Dämons eingelegt, damit sich kein anderer dort aufhalten kann.“
 
Der Teufel: Urangst mit wichtiger Funktion
 
Laut einer Befragung von 1003 Personen in Deutschland im März 2019 glauben 26 Prozent an die Existenz eines Teufels. Ist das auch im 21. Jh. noch immer eine menschliche Urangst? Wagner sieht darin eher ein beliebtes Erklärungsmuster, denn „sein Wirken kann man ja sowohl mit Katastrophen als auch mit menschlichem Fehlverhalten verbinden.“ Anthropologisch betrachtet, sei dies dahingehend problematisch, als daß die Eigenverantwortung des Menschen durch diese Vorstellung faktisch negiert werde.
Der Teufel hat im menschlichen Dasein seit jeher eine wichtige Funktion und das beginnt schon zu persischer Zeit. „In dem Moment, in dem in persischer Zeit sozusagen die menschliche Lebenswelt abgeschottet wird von dem Chaotischen, was aus der Unterwelt kommt, taucht schon die Frage danach auf, woher denn noch das Böse rührt?“, erklärt Wagner. „Und die einzige Ursache für das Böse, die es dann ja noch geben könnte, wäre Gott selber.“ Um das zu umgehen, entstehe in der biblischen Welt eine neue Welt um Gott herum. Die Göttersöhne belebten den Himmel neu. Sie übernahmen eine Botenfunktion und waren in der Lage zwischen dem kosmischen Himmel und unserem Lebensraum hin und her zu fliegen. „Diese Geschichte, daß sie gefallen sind und in Konkurrenz mit den Menschen treten, daß sie das Negative wieder in die Schöpfung zurückgebracht haben, zeugt davon, daß unser Umgang mit Leid, Leiderfahrungen und Katastrophen so ist, daß wir nach Erklärungen suchen!“ Es sei etwas typisch Menschliches, Verantwortung von sich zu geben, aber es verhindere gleichzeitig, daß wir uns unserer Verantwortung soweit bewußt würden, daß wir daraus auch konsequente Handlungen folgen ließen.
 
Eine dieser Verantwortungen, die man nicht dem Teufel zuschreiben kann, sieht Wagner in der erst kürzlich überstandenen Naturkatastrophe, die Teile von NRW über Jahre zerstört hat. „Wenn ich das theologisch zu erklären versuche, daß wir hier wieder den Einbruch eines systemischen Übels sehen, dann weisen wir davon weg, daß wir Verantwortung für die Veränderung dieser Erde tragen.“
 
Uwe Blass
 
Privatdozent Dr. Thomas Wagner lehrt in der Evangelischen Theologie der Fakultät für Geistes- und Kulturwissenschaften das Fach Altes Testament.