Gesunde Bäume brauchen Pilze

Dr. Helga Mölleken über die Nutzung besonderer Wald- und Wiesenbewohner

von Uwe Blass

Dr. Helga Mölleken - Foto: UniService Transfer
Gesunde Bäume brauchen Pilze
 
Die Chemikerin Dr. Helga Mölleken über die Nutzung
besonderer Wald- und Wiesenbewohner


Sie wachsen getarnt oder leuchtend in unseren Wäldern, auf offenen Wiesen oder blutrot am Wegesrand. Man kann sie in Gourmetgerichten verarbeiten, als Heilmittel einsetzen oder tödliche Gifte aus ihnen produzieren. Die Rede ist von Pilzen. Ihre Liebhaber und Sammler sieht man in diesen Wochen wieder häufig durch die Gehölze streifen, ausgestattet mit wetterfester Kleidung, einem Bergischen Zöppken (klassisches Solinger Küchenmesser) und dem handtuchausgelegten Weidenkörbchen, in das die oft mühevoll gefundenen Sporenschätze hineingelegt werden. Die Wuppertaler Chemikerin Dr. Helga Mölleken beschäftigt sich mit Heilpilzen als Nahrungsergänzungsmittel sowie der Beschaffenheit von Waldböden und weiß, was so ein mykologisches Wesen (Mykologie ist die Wissenschaft von Pilzen) zum Gedeihen braucht.

Pilze in unseren Wäldern

„Im September beginnt die eigentliche Pilzsaison“, beginnt sie, „obwohl es auch einige Pilze, wie etwa den Bovist, bereits im August zu finden gibt. Auch verschiedene Champignonarten, wie der Wiesenchampignon, Waldchampignon oder der Anis-Champignon zeigen sich bereits ab dem Spätsommer.“ In Wuppertaler Wäldern könne man dann Maronen oder Herbsttrompeten antreffen. Aufpassen müsse man beim Schopftintling, den man nur im ganz jungen Zustand als hervorragenden Speisepilz nutzen könne, wenn sein Hut noch geschlossen sei, der bei längerer Verwahrung jedoch tintig zerfließe. „Aber man findet auch schon Steinpilze sowie Pfifferlinge, Hallimasch und Stockschwämmchen“, weiß die Wissenschaftlerin.
Pilze wachsen oft nur im Laub- oder Tannenwald. Dazu Mölleken: „Viele Bäume zeigen nur mit Hilfe von Pilzen, den Mykorrhiza-Pilzen, gesundes Wachstum. Mit ihren Hyphen (Pilzfäden) unterstützen sie die Feinwurzeln der Bäume“, sagt sie. „Der Pilz spinnt sein Myzel, ein Flechtwerk von Pilzfäden, das sogenannte Mykorrhiza, um die Wurzelspitzen des spezifischen Baumes herum. Mit Hilfe dieser feinen Pilzfäden können Pilze das Bodenwasser besser nutzen und auch aus dem Substrat zusätzliche Nährstoffe und Mineralien aufnehmen.“ Die feinen Verästelungen des Myzels könnten diese Nährstoffe wesentlich besser als die gröberen Baumwurzeln aufnehmen und an den Baum weitergeben. Im Gegenzug versorge der Baum den Pilz mit Kohlehydraten, die dieser nicht selbst aufbauen kann.

Nicht alle Pilze lassen sich züchten

„Pilze unterteilt man in Bezug auf ihre Nährstoffaufnahme in verschiedene Gruppen“, erklärt die Chemikerin. Saprobionten, Parasiten und Symbionten nenne man sie, die verschiedene Lebensräume erschließen würden. „Die Saprobionten zersetzen totes organisches Material wie zum Beispiel Laub und Totholz. Außerdem zersetzen diese Pilze nicht nur Pflanzen, sondern jegliche Art von Lebewesen wie tote Tiere und andere Pilze.“ Champignons und Austernpilze seien dagegen wenig wählerisch und wüchsen im Wald auf abgestorbenen Blättern bzw. Totholz ebenso wie im Keller auf Strohballen oder Pferdemist. Diese Pilze ließen sich daher relativ leicht kultivieren und seien ein wichtiger Nahrungsfaktor. Anders sieht es da bei den bekannten Waldbewohnern aus, deren Lebenswelt man nicht künstlich herstellen kann. „Das Züchten von Pfifferlingen und Steinpilzen z.B. ist bis dato noch nicht gelungen“, erklärt sie, „da diese Pilze zu den Mykorrhiza-Pilzen gehören und in Symbiose mit Bäumen leben.“

Pilze als Nahrungsmittel sind nicht unproblematisch

Obwohl Fachleute den Pilzen wegen ihres hohen Vitamin B2-, B3- und D-Anteils eine höhere Bedeutung im Vergleich zu Obst und Gemüse zusprechen, sieht Mölleken ihre Nutzung als Nahrungsmittel kritisch. „Vitamine sind essenzielle Nährstoffe für unseren Körper und müssen, bis auf Vitamin D, über unsere Nahrung aufgenommen werden. Ich glaube, daß eine ausgewogene und vielfältige Ernährung für die Gesundheit entscheidend ist.“ In Bezug auf Pilze sei beispielsweise die Situation in Bayern nach wie vor problematisch. „Nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl 1986 sind dort immer noch Waldpilze radioaktiv, also mit Radiocäsium (Cäsium-137) belastet.“ Und um verstehen zu können, was das bedeute, fährt sie fort: „Der Verzehr von 200 g Pilzen mit 3.000 Becquerel Cäsium-137 pro Kilogramm hat eine Belastung von 0,008 Millisievert zur Folge. Dies entspricht der Strahlenbelastung bei einem Flug von Frankfurt nach Gran Canaria.“ Darüber hinaus fänden sich ebenso Schadstoffe aus Industrie und Haushalten in den Pilzfruchtkörpern. „Einige Pilze lagern sogar Schwermetalle wie Cadmium oder Quecksilber ein.“

Heilpilzforschung ist eine noch junge Wissenschaft

Einige Pilze sind nicht nur sehr schmackhaft, ihnen werden auch heilende Wirkungen zugesprochen. Ein hiesiges Beispiel ist der Riesenbovist, im Volksmund auch Beamtenkotelett genannt, den man in Scheiben wie ein Schnitzel braten kann. Er kann über sieben Billionen Sporen produzieren und enthält auch das Antikrebsmittel Calvacin. Aber wie wirkungsvoll sind Heilpilze eigentlich? „Heilpilze werden in China in der traditionellen chinesischen Medizin (TCM) bereits seit ca. 5000 Jahren verwendet“, weiß Mölleken. „Die moderne Forschung zu Heilpilzen begann dagegen in Tokyo/Japan erst ca. 1936 mit dem primären Ziel, Methoden und Erfahrungen der traditionellen Verwendung zu sammeln und kritisch zu analysieren. Aus älteren Publikationen ist bekannt, daß das Mucoprotein Calvicin als Naturheilmittel bei verschiedenen Erkrankungen wie Blutungen oder Durchfall genutzt wird. Seit ungefähr Anfang 2000 gibt es Studien zur Wirkung von Calvicin auf Krebszellkulturen, wie zum Beispiel Lungen- oder Brustkrebs, wobei das Zellwachstum gehemmt wurde.“ Dazu seien aber noch detailliertere Studien notwendig, erklärt die Wissenschaftlerin.
Klar sei: „In vielen asiatischen Ländern werden Pilze seit langem zur Gesunderhaltung und Heilung verwandt. Auch in Europa finden sie immer größere Verbreitung als wertvolle Nahrungsmittel und in der therapeutischen Anwendung.“ Ein Beispiel seien sogenannte beta-Glucane in den Pilzzellwänden, die sich auch in Gerste und Hafer fänden. „Die sind seit vielen Jahrzehnten Gegenstand zahlreicher wissenschaftlicher Untersuchungen und belegen, daß sie den Blutzucker regulierend unterstützen, das Sättigungsgefühl verbessern, die Darmgesundheit positiv beeinflussen, das Immunsystem aktivieren und den Cholesterinspiegel im Blut senken können.“ Ähnlich wie das im Bovist befindliche Calvicin gehören beta-Glucane zu den Immunregulatoren, weiß Mölleken. „Auch sie werden in der TCM bei der Behandlung von Krebs, Geschwüren, Infektionen, Strahlenbelastungen und Traumata effektiv eingesetzt. Aber auch hier bedarf es noch intensiver Forschung in der Humanmedizin.“ Nach ihrer Pensionierung im nächsten Jahr wird sich Mölleken wieder mit diesem Forschungsthema an einem geplanten Forschungsvorhaben beteiligen.
 
Das größte Lebewesen der Welt ist ein Pilz

Ein ganz besonderer Pilz, der Riesenhallimasch, dessen kleine Verwandten man auch in unseren Wäldern findet, hat es sogar zu einem Eintrag ins Guinnessbuch der Rekorde gebracht. „Der Riesenhallimasch in Oregon ist ein Pilz von gigantischem Ausmaß, der sich über neun Quadratkilometer, was einer Fläche von 1.200 Fußballfeldern entspricht, erstreckt“, sagt Mölleken. „Das Alter dieses Hallimaschs wird auf ca. 2.400 Jahre geschätzt und damit zählt er zu den ältesten Lebewesen der Welt.“
Und auf die abschließende Frage, wo der Name Hallimasch eigentlich herkommt, hat die Naturwissenschaftlerin auch eine Antwort. „Für den deutschen Namen Hallimasch für den Pilz Armillaria mellea gibt es mehrere Versionen. Eine davon leitet das Wort von "Höll' im Arsch" ab, da dieser Pilz stark abführend wirken kann, wenn er roh oder ungenügend gekocht gegessen wird.“

Uwe Blass (Gespräch vom 24.08.2021)
 
Dr. Helga Mölleken ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Management chemischer Prozesse in der Industrie und Analytische Chemie der Bergischen Universität.