Wo steckt der Pferdefuß?

Teuflische Herkunft einer Redensart

von Heinz Rölleke

Prof. Dr. Heinz Rölleke - Foto © Frank Becker
Wo steckt der Pferdefuß?
 
Teuflische Herkunft einer Redensart
 
Von Heinz Rölleke
 
Wenn man einen überraschend günstigen Vertrag ausgehandelt hat, vermutet der scheinbar unverhältnismäßig Begünstigte zuweilen, daß an der Sache irgendein Haken ist, den man übersehen hat und dessen zu späte Entdeckung man fürchtet. So lautet die entsprechend besorgte Frage etwa beim Abschluß eines Geschäfts oder später (an sich selbst): Wo steckt dieser Haken, den man noch nicht entdeckt hat? Sinngemäß dieselbe Frage, nur etwas derber ausgedrückt, hört man auch heute noch zuweilen: „Wo steckt der Pferdefuß?“ Da befürchtet man eine Übertölpelung durch einen bislang nicht wahrgenommenen und noch nicht identifizierten Täuschungsversuch eines wahrscheinlich nicht vertrauenswürdigen Vertragspartners. Wieso aber „Pferdefuß“? Das ist bekanntlich immer noch und seit langem die Bezeichnung des Fußes eines Pferdes. In dem wohl aus dem 9. Jahrhundert in althochdeutscher Sprache überlieferten Zweiten Merseburger Zauberspruch, der noch die germanischen Gottheiten (Phol, Wotan und dessen Sohn Baldur) nennt, also nicht von der Christianisierung modernisiert oder eliminiert wurde, liest man:
 
            Phol unde Uuodan uuorun zi holza.
            Dâ uuart demo Balderes uuolen sîn uuoz birenkit.
                        [Phol und Wotan ritten in den Wald.
                        Da wurde dem Fohlen Baldurs sein Fuß verrenkt.]
 
Neben die selbstverständliche Bezeichnung dieses Körperteils des Pferdes tritt später eine übertragene Bedeutung. In der christlichen Ikonographie hat man die antiken Vor- und Darstellungen des Waldgottes Pan oder der Satyrn und Faune, die oft durch einen ihrer Füße als bocksgestaltig erscheinen, dem Teufel zugeschrieben. Das früheste Zeugnis für die Mißgestalt des Teufels soll in einem seiner unzähligen Fußabdrücke aus dem Jahr 1040 in Ingolstadt erhalten sein. Der Böse erscheint in der Regel ab dem Unterschenkel eines Beines deformiert, sei es durch einen Bocks-, Hahnen- oder Pferdefuß. Albrecht Dürer hat in seinem berühmten Kupferstich „Ritter Tod und Teufel“ aus dem Jahr 1513 den Teufel gar mit zwei Pferdefüßen dargestellt. Auf die Dauer wurden Details aus der Fauna, Hörner, Schwanz, Vogelkrallen, Hahnenfeder und eben die Tierklaue zu charakteristischen Hauptattributen Satans; sie sind sämtlich der traditionellen Darstellung des Bockes verdankt, der als das geilste aller Tiere galt, mit dem man den Teufel in dieser Hinsicht Verwandtschaft attestierte. Auf die Dauer war der Pferdefuß das Kennzeichen aller teuflischen Gestalten.
 
Im zweiten Teil von Goethes „Faust“ wird Mephisto im klassischen Griechenland seine Verwandtschaft mit der Empuse, die sich als seine Tante (Muhme) zu erkennen gibt, anhand dieses Erkennungszeichens bewußt: Sie hat noch den antiken Eselsfuß, er den moderneren Pferdefuß:
 
                        EMPUSE zu Meph.
                        Begrüßt, von Mühmichen Empuse,
                        Der Trauten mit dem Eselsfuße!
                        Du hast nur einen Pferdefuß,
                        Und doch, Herr Vetter, schönsten Gruß!
                        MEPHISTOFELES
                        Hier dacht' ich lauter Unbekannte
                        Und finde leider Nahverwandte (v. 7736-7740)
 
Im ersten Teil des „Faust“ hatte Goethe den Satan dessen Umgang mit dem häßlichen und entlarvenden Attribut erklären lassen. Die Hexe hatte ihren Meister nicht sofort erkannt, was ihn zu einer Erklärung seines teilweise modernen Outfits veranlaßt. Teufelswams und Hahnenfeder trägt er weiterhin, alle anderen Erkennungszeichen hat er abgelegt bis auf den besonders charakteristischen Pferdefuß, den er fatalerweise nicht amputieren kann, so daß er ihn zu kaschieren sucht:
 
                        MEPHISTOFELES
                        Hast du vorm roten Wams nicht mehr Respekt?
                        Kannst du die Hahnenfeder nicht erkennen?
                        […]    
                        DIE HEXE
                        O Herr, verzeiht den rohen Gruß!
                        Seh' ich doch keinen Pferdefuß.
                        MEPHISTOFELES
                        […]
                        Wo siehst du Hörner, Schweif und Klauen?
                        Und was den Fuß betrifft, den ich nicht missen kann,
                        Der würde mir bei Leuten schaden:
                        Darum bedien' ich mich, wie mancher junge Mann,
                        Seit vielen Jahren falscher Waden. (v. 2485-2502)
 
Hier deutet sich etwas zu Herkunft und Bedeutung der immer noch im Gebrauch stehenden Redensart vom Pferdefuß an: Der Teufel sucht seit der Zeit der Aufklärung offenbar mit einigem Erfolg, sein bezeichnendstes Merkmal zu kaschieren, indem er moderne Beinkleider trägt (der dürre Tierunterschenkel wird durch „falsche Waden“ ausgepolstert). Die Menschen erkennen ihn wegen dieser Manipulation nicht mehr, zumal der Glaube an seine reale Existenz weitgehend geschwunden ist. Auch der Name „Satan“ ist schon lange „ins Fabelbuch geschrieben“, wie Mephisto spöttisch anmerkt: „Den Bösen“, glauben die Menschen vermeintlich, seien sie los, „die Bösen sind geblieben.“ (v. 2509)
 
In der „Hexenküche“ erklärt der Teufel das Prinzip seiner Verstellungen und Umkleidungen: Er möchte von den Menschen nicht erkannt werden, um sie desto sicherer verführen und ins Verderben ziehen zu können. So war es ihm zuvor schon in „Auerbachs Keller“ gelungen, wo er zutreffend bemerkt:
 
                        Den Teufel merkt das Völkchen nie,
                        Und wenn er sie beim Kragen hätte. (v. 2181 f.)
 
Immerhin hätte einer der trinkfreudigen Studenten den Teufel beinahe durchschaut, indem er bezeichnenderweise etwas von einem Pferdefuß zu ahnen schien: „Was hinkt der Kerl auf einem Fuß?“ (v. 2284)
 
Mephisto verbirgt seine Identität wie seine bösen Pläne, um die Menschen desto leichter zu verführen. Sein teuflisches Vorgehen können die Menschen ehestens noch durchschauen, wenn sie etwas von seinem besonderen und nie völlig zu verbergenden Merkmal, dem Pferdefuß, ahnen. Damit wird die Übertragung auf das in Rede stehende Bild verständlich: Wenn man erkennt, daß in einer Sache ein „Pferdefuß steckt“, (noch) verborgen ist, so hat man eine auf Täuschung angelegte Strategie entdeckt.
 
Diese lange Zeit tradierte Bedeutung von des Teufels Pferdefuß fand durch eine in jüngerer Zeit aufgekommene Redensart gleichsam Unterstützung: „Der Teufel steckt im Detail.“ Diese rät, die scheinbaren Nebensächlichkeiten, das Kleingedruckte, in einem Text nicht zu übersehen. Denn gerade darin kann sich die Gefahr, der Haken an der Sache, eben der bedrohliche Pferdefuß verbergen. Wer solche Täuschungsversuche, die ja an sich so wenig strafbar sind wie Satan für seine eher listigen als verbrecherischen Tricks und Machenschaften haftbar gemacht werden kann, nicht durchschaut, trägt selbst schuld: Die Sünde begeht gegebenenfalls der Mensch, und das erst ist strafbar.
 
Goethe übernahm das Motiv des teuflischen Pferdefußes aus der Volksüberlieferung, wo es in vielen Sagen begegnet. Eine andere berühmte Bühnenfigur, die erkennbar an den klumpfüßigen Teufel der Volksphantasie angelehnt ist, schuf Heinrich von Kleist für sein Lustspiel „Der zerbrochne Krug“. Der hinkende Dorfrichter mit dem bezeichnenden Namen „Adam“ hatte bösartig und gewaltsam die Dorfschönheit Evchen (Eva!) beschlafen wollen, war aber nicht an sein Ziel gekommen und muß nun in einem analytischen Prozeß über die geplante Untat (das heißt: über sich selbst) zu Gericht sitzen. Er wird durch seinen Schreiber Licht und den Visitator Walter zuletzt eindeutig als Täter überführt. Eine Zeugin hatte in Evchens Garten Spuren der nächtlichen Auseinandersetzungen gefunden und diese wie selbstverständlich dem leibhaftigen Teufel zugeordnet:
 
            Rechts fein […]
            Ein ordentlicher Menschenfuß,
            Und links unförmig grobhin eingetölpelt
            Ein ungeheuer klotziger Pferdefuß.
            […]
            Und Menschenfuß und Pferdefuß von hier,
            Und Menschenfuß und Pferdefuß und Menschenfuß und Pferdefuß
            Quer durch den Garten,
            Bis in alle Welt.
 
Die Anspielungen auf den mißgestalteten oder deformierten Fuß bei Kleist sind vielschichtiger als bei Goethe. Während Mephistos Defizit in seiner Bedeutung eindeutig ist (Kennzeichen des Leibhaftigen), wird diese dem Dorfrichter nur abergläubisch zugeschrieben. Dennoch ist der Effekt ungefähr derselbe: Eine Identität oder mindestens eine Nähe zwischen Satan und den beiden Bühnenfiguren ist unübersehbar. Mit dem Hauptmotiv des über sich selbst zu Gericht sitzenden Richters greift Kleist auf den antiken Ödipus in der Gestaltung durch Sophokles zurück, zumal der Redende Name Οιδιπους 'Schwellfuß' bedeutet: Der Mythos berichtet, daß dem neugeborenen Knaben nach einer Unglücksprophezeiung die Füße durchbohrt worden waren. Adams Mißgestalt ist demnach auf den Teufel und auf Ödipus zu beziehen.
 
Einfacher machte es sich ein im Dritten Reich unter der Hand verbreiteter Witz über den berühmt-berüchtigten Propagandaführer Joseph Goebbels. Dieser litt seit seiner Kindheit an einer durch Knochenkrebs verursachten Verkümmerung des rechten Unterschenkels, die er - wie Mephisto den Pferdefuß - tunlichst zu verbergen suchte; sie wurde dennoch durch einige Fotos publik und allgemein bekannt. Solches Gebrechen erinnerte an Goethes Mephisto und ließ in Goebbels eine Inkarnation des Teufels vermuten, mit dem man ihn wie viele andere Nazigrößen in Verbindung sah. Wenn gegen Ende des Zweiten Weltkriegs im Rundfunk vor alliierten Fliegerangriffen gewarnt und zum sofortigen Aufsuchen eines Bunkers gemahnt wurde, so wurde die Präsenz des Senders nach den Durchsagen mit einem permanenten synkopischen Klopfgeräusch hörbar angezeigt. Schon die Kinder erfuhren damals, daß der Volkswitz dies auf den hinkefüßigen Nazi mit den Worten „Goebbels eilt in den Bunker“ bezog.
Vielleicht steckte der teuflische Pferdefuß auch hier in vielen Details der Goebbels'schen Hetzreden. Jedenfalls glaubte das seinerzeit vielberufene gesunde Volksempfinden, ihn darin erkannt zu haben.
 
 
© Heinz Rölleke für die Musenblätter 2021