Lokale Weltpolitik

Ein Kommentar

von Lothar Leuschen

Foto © Anna Schwartz
Lokale Weltpolitik
 
Von Lothar Leuschen
 
Global denken, lokal handeln - den ersten Schritt hat Wuppertal in dieser Woche wieder einmal getan. Die Vereinbarung mit der chinesischen Millionenstadt Guangzhou ist eindeutig ein Fall von globalem Denken. Das hat diese Stadt in der Vergangenheit schon des Öfteren getan, gerade auch mit und in China. Die zahllosen Abendessen in Peking und sonst wo haben die Chinesen versichert, wirtschaftlich und politisch auf dem richtigen Weg zu sein, und in Wuppertal sind durch die China-Kontakte etwa 200 Arbeitsplätze entstanden. Außer Spesen nichts gewesen. Auch deshalb ist es bemerkenswert, daß Oberbürgermeister Uwe Schneidewind nun ein Klimabündnis mit dem hier gänzlich unbekannten Guangzhou geschlossen hat. Vielleicht nützt es ja irgendwann ja doch noch irgendwas.
Ortswechsel: Am Ostersbaum ist es in den vergangenen Tagen wieder einmal zur Demonstration vor der Mohrenapotheke gekommen. Aktivisten sind sicher, daß dort schon allein des Namens wegen ganze Menschengruppen diffamiert, diskreditiert und diskriminiert werden. Diese Aufregung hat schon einen Helden unzähliger Kinder den guten Ruf gekostet. Jim Knopf ist heute vollkommen schuldlos schlecht beleumundet, und das Takatuka-Land von Pippi Langstrumpf erstrahlt auch nicht mehr in der hellen Freude früherer Zeiten. Nur in Nordafrika, der Heimat des Mohren, des Mauren, wird es vermutlich niemanden weiter stören, daß in Oberbarmen eine Apotheke diesen Namen trägt. Auf dem Schwarzen Kontinent haben viele Menschen ganz andere Sorgen, und an denen ist Europa auch heute nicht unschuldig.
Was hat das eine nun mit dem anderen zu tun? Das ist eine Frage von Konsequenz. Es ist in Deutschland erlaubt - und sogar erwünscht, daß Menschen sich einmischen, daß sie ihre Meinung sagen, für ihre Ansichten friedlich streiten. So ist es ja auch an der Mohrenapotheke geschehen. Das kleine Unternehmen und dessen Chef drangsalieren allerdings keinen einzigen Afrikaner. Sie versorgen Menschen auch dieser Herkunft, die es glücklicherweise in Wuppertal gibt, vielmehr mit Medikamenten.
Umso genauer lohnt sich der Blick auf China. Und umso erstaunlicher ist die Kritiklosigkeit, mit der Kooperationen mit dem Reich der Mitte propagiert werden. Kein Aktivist hat in der Vergangenheit seine Stimme erhoben, wenn wieder einmal eine Delegation aus Wuppertal nach Peking aufbrach, um dort so gut wie nichts zu erreichen. Und auch diesmal bleibt die Lobeshymne des Oberbürgermeisters auf sich selbst unwidersprochen. Dabei ist es angezeigt, Kritik zu üben, gerade auch an China. Dort werden Uiguren interniert, weil ihr Glaube den Machthabern nicht paßt. Die Ein-Parteien-Diktatur trimmt das Land auf Aufschwung um jeden Preis, dort kettet sich niemand an einem Baum und wie sich was entwickelt, wer wo was baut, bestimmen der Staat und sein übermächtiger Präsident. Und in Hongkong verlieren die Menschen mit jedem Tag ein bißchen mehr Freiheit.
Dennoch ist es natürlich richtig, Kooperationen mit Kommunen in China zu suchen. Aber der höfliche Hinweis darauf, daß mit so einer Zusammenarbeit auch der Wunsch nach den Grundstandards von Menschenrechten und Meinungsfreiheit verbunden ist, dürfte doch wohl nicht zu viel verlangt sein. Ja, es stimmt, Weltpolitik wird nicht in Wuppertal gemacht, und der Oberbürgermeister einer äußerst liebenswerten, aber im Weltmaßstab nicht übermäßig bedeutenden Stadt muß sich politisch auch nicht verheben.
Andererseits wird auch das Weltklima nicht in Wuppertal gerettet. Und doch ist wichtig, daß die Stadt und ihre Menschen sich dem Klimaschutz zuwenden. Wie nötig das ist, hat zuletzt der 14. Juli gezeigt. Wenn niemand etwas macht, bleibt alles wie es ist. Und wenn jeder Staaten wie China kleinmütig hofiert, wird für die Unterdrückten und Entrechteten dort auch nichts besser. Deshalb darf globales Denken gern damit verbunden sein, die Stimme zu erheben. Nicht nur vor der Mohrenapotheke, sondern da, wo es wirklich notwendig ist.
 
Der Kommentar erschien am 21. August 2021 in der Westdeutschen Zeitung.
Übernahme des Textes mit freundlicher Erlaubnis des Autors.